Bosnien – Armut, Abwanderung, Solidarität mit Flüchtlingen

Bosnien ist seit dem Friedensabkommen von Dayton 1995 aufgeteilt in die Föderation Bosnien-Herzegowina mit dem Regierungssitz Sarajewo und die Republika Srpska mit dem Regierungssitz Banja Luka. Alle wichtigen politischen Ämter wurden damals paritätisch mit je einem Vetreter der im Land ansässigen Bevölkerungsgruppen besetzt:

  • muslimische Bosniaken
  • katholische Kroaten
  • orthodoxe Serben

Das Prinzip gilt von den Ministerien bis zu Gemeinderäten und führt dazu, dass Bosnien heute über 14 Parlamente, 136 Minister und drei Präsidenten verfügt. Die Präsidenten wechseln sich in einem Turnus von 8 Monaten im Amt ab. Das Land gilt als unregierbar. Es ist gekennzeichnet von ausufernder Dezentralisierung, Korruption und überdimensionierter Bürokratie.  Die Arbeitslosigkeit liegt bei fast 40 Prozent. Viele Menschen wandern ab. Vor dem Krieg im Jahr 1991 lebten 4,5 Millionen Menschen in Bosnien, jetzt sind es 3,6 Millionen. In den vergangenen 2 Jahren sollen 80.000 Frauen und Männer ausgewandert sein. (der Freitag, 15. November 2018)

Nun steht Bosnien, wo die meisten Menschen selbst mehr schlecht als recht leben, vor der Herausforderung, eine zunehmende Zahl an geflüchteten Personen aufzunehmen und im Winter zu versorgen. Die Migrationsrouten in Europas Süden verlagern sich nach Westen, da Serbien, Ungarn, Kroatien keine Vertriebenen ins Land lassen. In Bosnien wurden 2017 weniger als 1.000 Flüchtlinge gezählt, seit Jänner 2018 sind es 20.000. Die Menschen kommen aus Syrien, dem Irak, Pakistan, Afghanistan und Südafrika. 4.000 etwa sind derzeit im Land, die meisten im Nordwesten in den Städten Bihac und Velika Kladusa, 2 Kilometer von Kroatiens Grenze entfernt.

In Bihac hausen 1.000 im Borici, vor dem Krieg ein Internat für Studentinnen und Studenten, das derzeit winterfest gemacht wird.  Stadt und Rotes Kreuz richten in einer ehemaligen Lagerhalle ein Camp mit Betten, Duschen, Toiletten und Strom für 600 Personen ein.

In Velika Kladusa leben die Menschen in einem verlassenen Hangar  oder in einem Camp ohne Elektrizität, mit mäßig funktionierenden Wasserleitungen.  Niemand fühlt sich zuständig. Hilfe kommt von den Organisationen Ärzte ohne Grenzen und dem Roten Kreuz. Und von den Einheimischen.

Solidarität mit den Vertriebenen

Die Bevölkerung Bosniens ist trotz der eigenen Armut hilfsbereit und hat bisher den nationalistischen Tönen insbesondere des Führers der bosnischen Serben, Milorad Dodik, widerstanden. Dodik behauptet, die Zentralregierung in Sarajevo heiße Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten nur deshalb willkommen, damit Bosnien und Herzegowina ein muslimisches Land wird.

Amira Hadzimehmedovic von IOM hält die eigene Geschichte der bosnischen Menschen für den Grund ihrer Solidarität. Auch sie fühlten sich einst von der Welt vergessen, als sie Krieg, Flucht und Armut erlebten.

Quellen und links

Flucht kennen sie hier; Klaus Petrus; der Freitag, Nr. 46, 15. November 2018

Internationale Organisation für Migration, IOM: wikipedia

über Bosnien & Herzegowina auf wikipedia

über Republika Srpska auf wikipedia

über Bihac auf wikipedia

über Velika Kladusa auf wikipedia

Literatur über Bosnien: Leseempfehlung auf 1-sicht

Lesen und lesen lassen, das ist Solidarität
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Von redenden Frisuren und einem Medienclown

Wenn sich die Politik zunehmend an den Kategorien des Unterhaltungsbusiness orientiert, wird irgendwann der größte Medienclown zum Präsidenten. Diese These liegt dem Buch ‚Wir amüsieren uns zu Tode‘ des Medienwissenschafters Neil Postman (1931 – 2003) zugrunde. Der Professor an der New York University veröffentlichte es 1985. Ein Artikel in der New York Times im Februar 1983, der vom mangelnden Interesse der BürgerInnen an den falschen Behauptungen des Präsidenten berichtete, lieferte einen Anstoß zu diesem Werk. Ronald Reagan war damals Präsident der Vereinigten Staaten. (NZZ, 26.10.2018)

Die NZZ zitiert aus dem Artikel:

„Die Reporter, die über das Weisse Haus berichten, sind willens und imstande, Lügen blosszustellen, und schaffen so die Grundlage für informierte und entrüstete Meinungsäußerungen. Aber die Öffentlichkeit lehnt es offenbar dankend ab, sich dafür zu interessieren.“

Das Feld für den Medienclown

Postmans Befund

a) Wahrheit könne im ‚Zeitalter des Showbusiness‘ in einem ‚Meer von Belanglosigkeiten‘ untergehen.

b) Die ‚Guck-guck-Welt‘ der Medien fragmentiere die Aufmerksamkeit

c) Frei umherwirbelnde Informationskonfetti steigerten die Chancen effektiver Desinformation, denn man lebe im Bann einer permanenten Gegenwart.

d) In einer solchen Welt seien Politiker kaum mehr als eine Truppe von ‚redenden Frisuren‘, die nach ihrem Spaß- und Krawallfaktor beurteilt würden.

e) Der Rausch der Bilder präge das politische Geschäft allmählich in Richtung eines bloß unterhaltenden Spektakels.

(NZZ, 26.10.18)

Postmans Erklärung

Mit der von ihm entwickelten Theoriedisziplin ‚Medienökologie‘ lassen sich diese Phänomene erklären.

Medien bilden eine oft unsichtbare, tief im täglichen Leben verankerte und daher natürlich wirkende Kommunikationsumwelt. Die Ausbreitung eines neuen Mediums ist daher nicht additiv, sondern ökologisch, das heißt Resultat systemischer Wechselwirkungen. Alle Bereiche des Lebens werden auf schwer fassliche Weise verändert. Bisher Unsichtbares wird sichtbar, bisher Privates öffentlich. Die Symbole, mit denen wir uns austauschen, ändern sich ebenso wie das Wesen von Gemeinschaften, die Arena, in der wir Debatten führen.

Im Gegensatz zum berühmten Mantra des kanadischen Kommunikationstheoretikers Marshall McLuhan ‚Das Medium ist die Botschaft‘, sind nach Postman, der vor der Verbreitung der sogenannten sozialen Medien starb, Medien nicht Botschaften sondern Metaphern, die ‚ebenso unaufdringlich wie machtvoll ihre spezifischen Realitätsdefinitionen stillschweigend durchsetzen. Ob wir die Welt durch das Objektiv der gesprochenen Sprache oder des gedruckten Wortes oder der Fernsehkamera wahrnehmen – unsere Medien-Metaphern gliedern die Welt für uns, bringen sie in eine zeitliche Abfolge, vergrößern sie, verkleinern sie, färben sie ein und explizieren eine bestimmte Deutung der Beschaffenheit der Wirklichkeit.‘ (NZZ, 26.10.18)

Quellen und links

Irgendwann wird der grösste Medienclown zum Präsidenten: Der Medienwissenschafter Neil Postman hat schon vor mehr als 30 Jahren einen Donald Trump vorhergesagt, NZZ, 26.10.2018

über Neil Postman auf wikipedia

über Marshall McLuhan auf wikipedia

lieber lesen als Medienclown sein
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1-sicht empfiehlt Lese-, Hör-, Sehstoff: Oktober 2018

Lesestoff:
„Warum ich Nazi wurde“ – Biogramme früher Nationalsozialisten

Die einzigartige Sammlung des Theodore Abel
herausgegeben von Wieland Giebel, 2018

1934 lobte der polnisch-stämmige amerikanische Soziologe Theodore Abel einen Preis für die beste Antwort auf die Frage „Warum ich Nationalsozialist geworden bin?“ aus. Er platzierte Inserate in NS-Publikationen mit der Überschrift:
„Preise im Wert von 400 Mark. Für die beste persönliche Lebensgeschichte eines Anhängers der Hitler-Bewegung“

683 Menschen reichten ihre Berichte, von denen 581 in einem Umfang von mehr als 3.700 Seiten vorhanden sind, ein. 85 Biogramme sind in dem vorliegenden über 900 Seiten starken Werk überwiegend als Faksimile veröffentlicht.

Biogramme früher Nationalsozialisten - Warum ich Nazi wurde
Warum mich Nazi wurde – Berlin Story Verlag

Quellen und links

Berlin Story Verlag

lieber lesen als Nazi sein
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Nadia Murad – Friedensnobelpreis 2018

Der Friedensnobelpreis 2018 wird an Nadia Murad (Irak) und Denis Mukwege (Kongo) verliehen. Aus diesem Anlass wiederholt 1-sicht einen Beitrag aus dem Jahr 2016 über die irakische Jesidin Nadia Murad- ergänzt um links zu aktuellen Berichten über Murad und Mukwege, die den Preis für ihren jeweiligen Kampf gegen sexuelle Gewalt erhalten haben. Beide wurden auch bereits mit dem Sacharow-Preis („EU-Menschenrechtspreis“) ausgezeichnet; Denis Mukwege 2014, Nadia Murad 2016.

Nadia Murad – eine der 100 einflussreichsten Personen

1-sicht vom 9. Mai 2016

Alljährlich kürt das Magazin TIME die seiner Einschätzung nach einflussreichsten Persönlichkeiten – dieses Jahr veröffentlicht in der Ausgabe vom 2. – 9. Mai 2016. Ernannt sind Frauen und Männer in den Kategorien

  • Pioniere
  • Titanen
  • Künstler
  • Führungspersönlichkeiten
  • Ikonen

Die jeweils Erstgenannten sind

  • Pioniere: Lin-Manuel Miranda, 36 Jahre, Broadway Star.
  • Titanen: Priscilla Chan und Mark Zuckerberg, beide 31 Jahre, Philantropen
  • Künstler: Priyanka Chopra, 33, Schauspielerin
  • Führungspersönlichkeiten: Christine Lagard, 61 Jahre, IWF
  • Ikonen: Leonardo Dicaprio, 41 Jahre, Schauspieler und Umweltschützer

Nadia Murad – eine Zeugin der Kriegsgräuel in Syrien

Nadia Murad ist in der Kategorie Pioniere genannt.  Die Angehörige der Jesiden   hat trotz ihrer erst 23 Jahre eine unvorstellbare Leidensgeschichte als mehrfaches Opfer des Kriegsgeschehens in Syrien erlebt. Mit 19 Jahren verlor sie ihr Zuhause, ihr Land, ihre Kultur. Ihre Mutter wurde ermordet und sie musste mit ansehen, wie männliche Verwandte umgebracht wurden. Sie selbst wurde entführt, verkauft und ungezählte Male von ISIS-Mitgliedern vergewaltigt.

Nun reist sie um die Welt, um diese auf den Genozid, der an ihrem Volk begangen wurde und begangen wird, aufmerksam zu machen. 3000 Jesidinnen sind immer noch in Gefangenschaft der ISIS.

2015 sprach Murad in New York im Rahmen des ersten Treffen des UN Sicherheitsrates betreffend Menschenhandel und erzählte ihre persönliche Geschichte.

Nun, da Europa seine Grenzen gegenüber terrorisierten Flüchtlingen schließt und auch die USA sich abwendet – vergessend, dass es der US-geführte Krieg im Irak war, der ISIS groß machte; dass es zurückgelassene US-Waffen sind, die in die Hand von ISIS gelangten – zählt Nadia Murad zu den wichtigen Stimmen, die auf die Verantwortung der Welt gegenüber dem jesidischen Volk aufmerksam machen.

Quellen und links

TIME, 2.-9 Mai 2016; Der   Beitrag „Nadia Murad: A witness for war’s victims“ ist von Eve Ensler, Dramatikerin und Schriftstellerin, und hier in zusammengefasster Übersetzung wiedergegeben.

Über Jesiden auf wikipedia

Über Sklaverei auf 1-sicht

Über Eve Ensler auf wikipedia

„Friedensnobelpreis 2018: Nadia Murad und Denis Mukwege – was Sie über die beiden wissen müssen“; Spiegel online, 5.10.2018

„Ich empfand gar nichts mehr. Die Frau, die dem IS entkam.“; Spiegel online, 28.10.2017

Sacharow-Preis, wikipedia

über den Friedensnobelpreis lesen
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Über unsere Unfähigkeit, im Internet wahr von falsch zu unterscheiden

Wieso gelingt es selbst den Klügsten unter uns nicht immer, richtig zu beurteilen, welche Nachricht, welche Information in der Online-Welt Vertrauen verdient und welche nicht? Das Magazin TIME geht in seiner Ausgabe vom 20. August 2018 ausführlich der Frage nach.

Nicht ausgebildet fürs Internet

Ein Experiment an der Stanford University unter der Leitung des Psychologen Sam Wineburg fand heraus, dass Amerikaner/innen jeden Alters und unabhängig vom Intelligenzquotienten,  nicht die relevanten Fragen stellen, wenn sie sich einer Online-Suchmaschine bedienen und deren Ergebnisse nutzen. Eine weitere Studie zeigte, dass viele links geteilt/retweetet werden, ohne dass deren Inhalte gelesen werden. David Rand, Hirnforscher am MIT erhob, dass man im Durchschnitt zumindest zu 20% falschen Nachrichten traut.

Expert(inn)en sehen in unserer Unfähigkeit, wahre von falschen Nachrichten zu unterscheiden, eine Gefahr für demokratische Prozesse und für die gesellschaftliche Entwicklung. Was ist die Folge davon, dass wir zum Beispiel im Vorfeld von Wahlen Nachrichtenflüssen aus Quellen ausgesetzt sind, deren Absender und dessen Intentionen wir nicht kennen. Was, wenn Eltern falschen medizinischen ‚Informationen‘ vertrauen und ihr Baby falsch behandeln? Oder wenn, wie in Indien geschehen, Gerüchte über eine Kindesentführung, die sich auf einem mobilen Nachrichtendienst verbreiteten, dazu führten, dass die aufgebrachte Menge unschuldige Menschen zu Tode prügelte?

Die führenden Unternehmen der social-media-Branche stehen mittlerweile unter dem Druck, auf ihren Plattformen dafür zu sorgen, dass keine falschen Nachrichten Verbreitung finden. Das ist leichter gesagt als getan. Maschinen und Algorithmen kann man den Unterschied zwischen wahr und falsch nicht beibringen, wenn ihn schon die Menschen nicht immer erkennen. Und in Amerika ist die freie Rede ein besonders hohes Gut. Jeder Akt, der nach Zensur aussehen könnte, ruft sofort massiven Widerstand hervor.

Den eigenen Impulsen auf den Grund gehen

Der Psychologe Wineburg setzt auf die Lernfähigkeit der Menschen, auf uns Leserinnen und Leser. Je besser wir einerseits die digitale Welt und das Internet und andererseits unsere Denk- und Reaktionsweisen verstehen, desto eher wird es uns gelingen, Lügen als solche zu entlarven.

Oft lassen wir uns schlicht und einfach von den falschen Impulsen lenken. Wir haben das Gefühl, die Zeit ist zu knapp, um ganze Artikel zu lesen und teilen daher rasch den link mit der attraktiven Überschrift. Als soziale Wesen sind wir süchtig nach Anerkennung und Zuspruch, die wir in der online-Welt mittels Daumen-hoch- oder Lächel-Bildchen rasch und von vielen erhalten. Da lohnt es sich, Geschichten auch dann zu teilen, wenn sie einem nicht ganz geheuer erscheinen.  Und in einer unübersichtlichen Welt sehnen wir uns nach einfachen Antworten.

Vertrautes schafft Vertrauen

Wir Menschen schätzen unser Selbstbild als Verstandeswesen. Doch die Psychologie rückt das zurecht. Meist sind wir von emotionalem und irrationalem Denken gesteuert. Um den Alltag zu bewältigen, bedient sich unser Gehirn von uns unbemerkt heuristischer Prinzipien, wie zum Beispiel dem, Vertrautes vorzuziehen. Hat uns ein Joghurt einmal geschmeckt und gut getan, greifen wir gerne vertrauensvoll wieder zur gleichen Marke. So ersparen wir es uns, bei jedem Joghurtkauf einen Entscheidungsprozess zu durchlaufen.

Dieses Prinzip, Vertrautes als vertrauenswürdig anzusehen, kann im Internet auf falsche Fährten führen.  Die Forschungen von David Rand am MIT zeigen: Allein die Tatsache, dass man eine Nachricht schon einmal gesehen hat, führt dazu, dieser mehr Glaubwürdigkeit zu schenken, als einer noch nie gesehenen. Das passiert unbewusst. Propagandisten aller Zeiten wussten davon. Doch noch nie war es so einfach wie heute, Nachrichten und daher auch falsche Geschichten zu reproduzieren. Auch die Weiterleitung einer Nachricht mit dem begleitenden Aufschrei ‚Lüge‘ kann das Gegenteil von dem bewirken, was intendiert war. Die Nachricht sinkt ins kollektive Bewusstsein. Dass es sich um eine Lüge handelt, bleibt draußen.

Den wahren Nachrichten auf die Spur kommen

Facebook spielte mit dem Gedanken, die von seinem Faktenchecker-Team als falsch erkannte Posts mit einem Fähnchen zu versehen. Damit wäre der freien Rede Genüge getan und dem Anspruch, der Verbreitung von Lügen Einhalt zu gebieten. Man kam davon ab, denn es gilt zu befürchten, dass alle nicht mit Fähnchen versehenen Informationen  dann unhinterfragt als wahr gelten. Was nicht der Fall sein muss.

Zielführender ist es, den Menschen beizubringen, wie sie die Unterscheidung zwischen wahr und falsch jeweils selbst treffen können. Wer das Folgende im Kopf behält, ist den wahren Nachrichten schon einen Schritt näher gekommen:

  1. Was in der auf Papier gedruckten Nachrichtenwelt für Glaubwürdigkeit bürgt, zum Beispiel eine Vielzahl von Fußnoten und Zitaten in einem Fachartikel, tut dies nicht zwingend auch im Internet, wo Profis und Laien Aussagen veröffentlichen können.
  2. Veröffentlichungen von professionellen Journalist/innen stehen im selben Medium wie die Geburtstagsgrüße zwischen 16-jährigen. Die Unterscheidung zwischen relevant und weniger relevant wird nicht mehr durch das Medium an sich geleistet. Die muss man selbst tun.
  3. Emotionale und sachliche Inhalte sehen gleich aus und sind gut gemischt. Unser Hirn muss sich extra anstrengen, um die unterschiedlichen Typen von Informationen auseinander zuhalten, erklärt Claire Wardle, Forscherin in Harvard.
  4. Die Reihung der Suchmaschinenergebnisse spiegeln die Passgenauigkeit zwischen Suchanfrage und Schlüsselwörtern  wieder, nicht den Wahrheitsgehalt eines Textes.
  5. Unser Gehirn traut Bildern. Doch mittlerweile ist Bildern nicht mehr zu trauen. Sie können manipuliert werden. Oder sie stehen in falschem Zusammenhang.
  6. Auf Twitter gilt vielen die Zahl der follower als Indiz für Glaubwürdigkeit. Doch viele follower werden bezahlt. Und etwa 10% sind bots, also künstliche user.
  7. Wineburg fand heraus, dass Merkmale wie Seitenadressen (URLs) und Grafikdesign auf die Glaubwürdigkeit Einfluss haben. Beides ist jedoch leicht manipulierbar.
  8. Der Mensch mag Nachrichten, die das eigene Weltbild bestätigen. Teilt und retweetet man ständig innerhalb derselben Gemeinschaft, engt das den Fokus ein.
  9. Gemäß einer Studie werden 6 von 10 links retweeted, ohne dass der eigentliche Artikel gelesen wird. Man verlässt sich auf den Kommentar jemandes anderen.
  10. Lügengeschichten verbreiten sich auf dem Kurznachrichtendienst 6 Mal schneller als Tatsachenberichte. Offensichtlich liegt das daran, dass Lügen stärker Überraschung oder auch Ekel auslösen. Falsche Nachrichten wirken oft etwas seltsam. Diese Eigenschaft ist der Grund dafür, dass sie starke Verbreitung im Internet finden. Und genau diese Eigenschaft könnte sie, bei einem kurzen Moment des Innehaltens, als das entlarven, was sie sind.

Inhalte prüfen

Facebook hat mittlerweile tausende Personen angeheuert, die Inhalte prüfen und Lüge von Wahrheit unterscheiden sollen. Doch die Anzahl der Veröffentlichungen übersteigen die Prüfkapazitäten. Der Hirnforscher Rand geht davon aus, dass eine Temporeduktion in der social-Media-Welt zu einer Fehlerreduktion führt.

Die Chance, Lügen im Internet zu entlarven, steigt, wenn man

  • Tempo reduziert
  • bei Suchmaschinenergebnissen zumindest die Ergebnisse der ersten beiden Seiten ansieht und erst dann die Wahl trifft, welchen link man öffnet
  • sich ein Bild macht, wer hinter der website, dem Post, dem Tweet steht
  • die Texte selbst liest und darüber nachdenkt

Das klingt ein wenig banal. Doch scheinbar muss es dem digitalen Menschen beigebracht werden. Sowohl dem, der nicht mit dieser Form von Kommunikation und Nachrichtenkonsum groß geworden ist, als auch dem, der damit groß wird.

Quellen und links

Magazin TIME, 20. August 2018, The real fake news crisis, Katy Steinmetz

NZZ, 17. September 2018, Gegen Cyberkriminalität hilft gesunder Menschenverstand

im Buch statt im Internet lesen
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

1-sicht empfiehlt Lese-, Hör-, Sehstoff: September 2018

Lese- und Bildstoff:
KLIMA-AUFZEICHNUNGEN
Kerstin Heymach
Manfred Wendisch
Annette Rinke

Wochenlang hohe Temperaturen, dauerhafte Trockenheit und Dürremeldungen, dann heftige Starkregen und Gewitter – der Sommer 2018 hat auch Österreich ungewöhnliche Wetterereignisse beschert. Nicht wenige sehen darin ein deutliches Zeichen des globalen Klima-Wandels.

In der Arktis sind dessen Auswirkungen bereits unübersehbar und beschleunigen sich dramatisch. Fotos von auseinander brechenden Eisdecken und davon existenziell bedrohten Eisbären gehen regelmäßig durch die Medien.

Von ganz anderem Dokumentationscharakter ist das hochwertig produzierte Buch ‚KLIMA-AUFZEICHNUNGEN – Zeichnerische Dokumentation einer Forschungsexpedition in die Arktis‚. Die Klimaforscher/innen bei der Arbeit und Landschaften der Arktis sind im wörtlichen Sinn aufgezeichnet. Die Zeichnungen sind von großer Nähe und wahren zugleich die gebotene Distanz zwischen Forscherteam und Grafikerin. Die Landschaften sind mit Stift und Kreide zart zu Papier gebracht und dennoch von größerer Eindringlichkeit als so manches farbenstarke dramatische Foto. Dem sensiblen Ökosystem Arktis werden die Zeichnungen wohl sogar besser gerecht.

Klima-Aufzeichnungen
Quelle: Edition Lammerhuber

Das Buch kann direkt bei der Grafikerin bestellt werden: Klima-Aufzeichnungen bestellen

Über Klimawandel auf 1-sicht

Klimaanlagen-Dilemma: sie kühlen uns und heizen das Weltklima an

Klimawandel potenziert Konflikte

Klimaanlagen-Dilemma: sie kühlen uns und heizen das Weltklima an

Lang anhaltende Hitze und Trockenheit machen Mitteleuropa im Sommer 2018 zu schaffen. Von Ernteausfällen, Getreideknappheit und Futterengpässen für die Tiere wird berichtet und davor gewarnt, dass die große Hitze für obdachlose Menschen genauso gefährlich ist wie Winterkälte, da sie keine Möglichkeiten zur Kühlung und Regeneration haben. TIME berichtet in der Ausgabe vom 30. Juli 2018 von schmelzenden Straßen in Großbritannien, von Hitzerekorden von rund 40 Grad Celsius in Kalifornien und von über 70 Hitzetoten in Quebec/Kanada. Doch möglicherweise ist dieser Sommer Vorbote für zukünftige. „Wir erleben einen Hitzesommer, wie er bald zur Norm werden könnte“, mutmaßt beispielsweise Christian Speicher in der NZZ vom 4.8.2018. Was bedeutet das für die Menschen?

Die Organisation Sustainable Energy for All, die mit UN und Weltbank in Verbindung steht, geht davon aus, dass 1, 1 Milliarden Menschen weltweit keine Möglichkeit zu adäquater Kühlung haben. Die Internationale Energie Agentur (IEA) zeigt in einer Analyse vom Mai, dass nur 8% der Menschen in den heißesten Regionen der Erde über Klimaanlagen verfügen, hingegen über 90% der Menschen in den USA und Japan.

Klimaanlagen – vom Luxus zur Notwendigkeit

Große Hitze belastet den Körper und kann in extremen Fällen zu Organversagen führen. Die Zahl der Personen, die aufgrund von Hitze sterben, kann gemäß Weltgesundheitsorganisation (WHO) in 2050 über 250.000 betragen. Und Sustainable Energy for All geht davon aus, dass die Produktivität sinken wird, in besonders heißen Regionen wie Teilen Asiens und Afrikas um bis zu 12%. Dazu kommt, dass mangelnde Kühlmöglichkeiten die Ernährungssicherheit gefährdet und die Aufbewahrung von Medikamenten erschwert.

Kühlung durch Klimaanlagen wird in immer mehr Regionen der Welt vom Luxus zur Überlebensnotwendigkeit. Die wachsende Mittelschicht in den sogenannten Entwicklungsländern investiert in Klimananlagen. Für Personen, die diese Möglichkeit nicht haben, werden seitens der Regierung Einrichtungen zur Verfügung gestellt, in denen man sich abkühlen und regenerieren kann.

Klimaanlagen forcieren Klimaerwärmung

Dumm nur, dass der Betrieb der Klimaanlagen sehr energieintensiv ist. Insbesondere in Entwicklungsländern, wo Energie hauptsächlich aus fossilen Quellen genutzt wird, tragen Klimaanlagen massiv zur Klimaerwärmung bei. IEA schätzt, dass im Jahr 2050 die Kühlung von Räumen soviel Energie verbrauchen wird, wie aktuell China für seine komplette Elektrizität. Kühlung ist, laut UN-Umweltprogramm, wahrscheinlich für den größten Anteil des Energieverbrauchs verantwortlich.

Abgesehen davon geben Klimaanlagen klimaschädliche Fluorkohlenwasserstoffe ab. Bis zum Ende dieses Jahrzehntes könnten allein die Emissionen die Erderwärmung um 0,3 Grad Celsius anheizen, sagen Wissenschafter voraus. Das wäre ein beträchtlicher Anstieg im Hinblick auf das Klimaziel, auf das sich die Weltgemeinschaft auf der Klimakonferenz in Paris in 2015 verständigt hat: Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2 °C, möglichst 1,5 °C im Vergleich zu vorindustriellen Levels. Das Kigali Cooling Efficiency Programm sieht daher auch vor, Klimaanlagen ohne Fluorkohlenwasserstoffe zu entwickeln. 197 Nationen verpflichteten sich zur Reduktion dieser Treibhausgase in Kühlgeräten und Klimaanlagen von über 80% in den kommenden 30 Jahren.

Quellen und links

ohne Klimaanlagen lesen ist schön
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Demokratie wird sich durchsetzen.

Gemäß dem jährlichen Demokratieindex, erfasst von der Economist Intelligence Unit, war 2017 das schlechteste Jahr für die Demokratie seit der globalen Finanzkrise in 2010. Die Organisation Freedom House stellt fest, dass der Anteil der Weltbevölkerung, der in Demokratien lebt, von 46% im Jahr 2006 auf 39% in 2018 zurück gegangen ist. Eine von drei Personen lebt in autoritären Regimen, viele weitere erleben einen Rückgang ihrer demokratischen Freiheiten, unter anderem in Venezuela, Bolivien und Nicaragua, in der Türkei, in Ungarn und Polen sowie auf den Philippinen.

Demokratie
Demokratieindex, Quelle: wikipedia

Vollständige Demokratien: 9–10; 8–8,99
Unvollständige Demokratien: 7–7,99; 6–6,99
Hybridregime (Mischformen): 5–5,99; 4–4,99
Autoritäre Regime: 3–3,99; 2–2,99; 0–1,99
Keine Daten: alle übrigen Länder

Galten im vorigen Jahrhundert die kommunistischen Regime als Feinde des demokratischen Prinzips, so ist es jetzt der Aufstieg der starken Männer, die Macht zentralisieren und die Opposition niederschlagen, wie es beispielsweise die Tendenz in den beiden großen Nationen Russland und China ist.

Und in den USA regiert ein Präsident, der mit jenem Russlands flirtet und von der absoluten Macht des chinesischen Führers schwärmt.

Die Hintergründe dieser Entwicklung und warum die Demokratie trotzdem die Oberhand gewinnen wird, diskutiert James Stavridis, ehemaliger Supreme Allied Commander Europe der NATO, in seinem Beitrag ‚Democracy will prevail‘ im Magazin TIME vom 23. Juli 2018.

Die Sehnsucht nach Ordnung ist eine mächtige Kraft

Stavridis nennt 3 zentrale Gründe dafür, warum die demokratische Regierungsform aktuell scheinbar im Hintertreffen ist.

  1. Demokratie ist ineffizient. Demokratische Entscheidungsfindungsprozesse brauchen ihre Zeit. Je komplexer die globale Gesellschaft, desto mehr. Neue Herausforderungen, wie Massenmigration über alle Kontinente, transnationale Kriminalität, internationale ökonomische Umbrüche erwecken Unsicherheit und stärken den Wunsch nach starker Ordnung.
  2. Die Zweischneidigkeit der neuen Technologien und ihrer Anwendungen wie zum Beispiel die sogenannten sozialen Netzwerke. Sie haben einerseits demokratische Revolutionen ermöglicht. Andererseits werden sie am effektivsten von Diktatoren aller Kontinente genutzt, um ihre Bürger/innen zu bespitzeln und falsche ‚Fakten‘ zu verbreiten.
  3. Die hohe Geschwindigkeit der Veränderung verursacht Desorientierung. Das öffnet Raum für die Herangehensweisen autoritärer Systeme: rasche Antworten, einfache Lösungen für komplexe Situationen.

Autoritäre Prinzipien widersprechen der menschlichen Natur

Neben den Tendenzen zu starken Männern und autoritären Strukturen sieht Stavridis positive Entwicklungen hin zu – wenn auch nicht perfekten so doch widerstandsfähigen – demokratischen Gesellschaften.

Indien mit über 550 Millionen Wähler(inne)n kann trotz Terroristenangriffen, ökonomischer Schwierigkeiten und anderer massiver Herausforderungen auf Dekaden der relativen Stabilität und des Wachstums blicken. Zwar ist das demokratische System Indiens nicht makellos und der Ministerpräsident starker Kritik ausgesetzt, die demokratischen Institutionen zu untergraben. Doch ist  von vielen hochrangigen Offiziellen und sogar von militärischen Führern ein uneingeschränktes Bekenntnis zur Demokratie zu hören.

Kolumbien, jahrzehntelang unter dem Drogenkrieg leidend und von daher nicht unanfällig für autoritäres Durchgreifen, ist seit Mitte der 1960er Jahre demokratisch organisiert. Die Macht wird alle zwei Jahre durch Wahlen neu vergeben.

Brasilien mit 200 Millionen Bürgerinnen und Bürger, von 1964 bis 1985 vom Militär regiert, ist trotz beträchtlicher politischer Unruhen nicht zur Autokratie zurück gekehrt.

Tunesien konnte seine Revolution aus 2011 retten und entwickelt seither – nach 23 Jahren Diktatur – seine demokratischen Strukturen.

Und die meisten der hochentwickelten Nationen sind starke Demokratien. Stavridis nennt Japan, Canada, Frankreich, Australien, Deutschland. Den ökonomischen Aufschwung Chinas in jüngerer Zeit hält er für das Ergebnis des Nachahmens und Stehlens geistigen Eigentums, was an Grenzen stoßen wird. Liberale Demokratien schaffen die dauerhafteren Lösungen und sind anpassungsfähiger an unterschiedliche Kulturen und Zeiten.

Demokratie – die schlechteste aller Regierungsformen. Außer allen anderen.

Demokratische Regierungsformen sind weder gegeben noch sind sie perfekt. Wir müssen stets  um sie kämpfen, an ihnen arbeiten, sie anpassen, verbessern. Wie Winston Churchill sagte: Die Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen. Abgesehen von allen anderen.

Wie stärken wir Demokratien? Stavridis sieht folgende Notwendigkeiten:

  1. Frauen fördern. Länder mit einem hohen Niveau an Geschlechtergerechtigkeit  neigen laut Weltbank in höherem Ausmaß dazu, Konflikte friedlich zu lösen. Vereinbarungen, an denen Frauen und Zivilorganisationen mitgewirkt haben, haben 64% größere Erfolgsaussichten, laut einer UN-unterstützten Studie.
  2. Wirtschaftliche Ungleichheit reduzieren.
  3. Den Kindern kritisches Denken beibringen, sodass sie in der Lage sind, Wahrheit und Lüge voneinander zu unterscheiden.
  4. Jene, die die Demokratie verteidigen, dürfen nicht müde werden, klar zu machen, warum das wichtig ist und was auf dem Spiel steht. Sie müssen ihre Vision, auch wenn sie (noch) nicht perfekt gelebt wird, artikulieren und von ihrer Richtigkeit überzeugen.

Quellen und links

TIME

Demokratieindex, wikipedia

Freedom house

James G. Stavridis, wikipedia

Populismus gefährdet die Demokratie, 1-sicht

über Demokratie lesen
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

 

1-sicht empfiehlt Lese-, Hör-, Sehstoff: Juli 2018

Lesestoff:
Maneks Listen
Niko Hofinger

Ein Name, ein Geburtsdatum, zwei Sterbedaten – wie viele Personen? Der Historiker Niko Hofinger erzählt in seinem 2018 erschienenen Roman ‚Maneks Listen‘ die ungewöhnliche – oder auch nicht – Lebensgeschichte eines jüdischen Mannes im Europa des 20. Jahrhunderts. Der Roman basiert auf dem von Flucht und Vertreibung geprägten Leben des Präsidenten der Innsbrucker Kultusgemeinde, Ernst Beschinsky, verstorben 1987. Mit überraschend viel Witz werden dessen gewitzte Überlebensstrategien ausgerollt.

Maneks Listen, Niko Hofinger
Limbus Verlag

Quellen und links

Der Mann, der zweimal starb, Tiroler Tageszeitung, 6.3.2018

Prof. Ernst Beschinsky, Hohenems Genealogie

You only die twice, Dokumentarfilm

Maneks Listen lesen
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Kobalt: Ausbeutung des Kongo und internationale Korruption

Kongo, ein an Bodenschätzen reiches, dennoch bitterarmes zentralafrikanisches Land wird zwischen 2010 und 2012 um 1,36 Milliarden Dollar geprellt. Glencore, die weltweit grösste im Rohstoffhandel tätige Unternehmensgruppe mit operativem Hauptsitz in der Schweiz, verliert an einem Tag des Jahres 2018 4,3 Milliarden Dollar an Aktienwert. Was hat das Eine mit dem Anderen zu tun? Die Antwort: Kobalt. Und Dan Gertler.

Glencore arbeitet mit Dan Gertler, einem durch Diamantenhandel in sehr jungen Jahren sehr reich gewordenen Mann zusammen, der samt seinen Firmen von den USA auf eine Sanktionsliste gesetzt wurde, was der öffentlichen Brandmarkung als Parasit gleichkommt. Daher nimmt das US-Justizministerium die Geschäftsgebarung von Glencore unter die Lupe, was im Juli 2018 zum Absturz der Unternehmensaktie führt.

Glencore betreibt im Kongo Bergbauanlagen im Wert von 10 Milliarden Dollar. Das Unternehmen ist dort einer der größten Produzenten von Kobalt, das für Batterien von Handys und Elektromotoren benötigt wird. Dan Gertler ist einer der Miteigentümer von Glencore und enger Freund von Joseph Kabila, Präsident des Kongo.

Gertler fungiert als Mittelsmann beim Verkauf von Bergbauanlagen, die er gerne auch an mit ihm verbundene Offshore-Gesellschaften verkauft. Und das zu billig. So entgingen nach Schätzungen der NGO Africa Progress Panel dem Staat Kongo in den Jahren 2010 bis 2012 1,36 Milliarden Dollar.

Kabila, Gertler, Glencore

Bereits 1997 knüpfte Gertler Kontakte zum Kabila-Clan und bot 20 Millionen Dollar für ein Diamantenexportmonopol an. Auch dürfte er israelische Waffentechnik vermittelt haben. Für 2001 und 2002 verzeichnet das israelische Verteidigungsministerium den Verkauf leichter Waffen im Wert von 700 000 Dollar an den Kongo.

2009 räumte Glencore Gertler einen Kredit in der Höhe von 45 Millionen Dollar ein.

Als 2017 in den USA Dokumente über Schmiergeldzahlungen von mehr als 100 Millionen Dollar von Gertler an Kabila auftauchten, kaufte Glencore Gertler für 534 Millionen Dollar aus. Glencore stoppte auch die Zahlungen von Bergbau-Lizenzgebühren an Gertler, als dieser auf die US-Sanktionsliste gesetzt wurde, nahm die Zahlungen allerdings im Juni 2017 wieder auf – diesmal in Euro, nicht in Dollar.

Glencores Standpunkt: Zahlt Glencore nicht, würde Gertler noch viel mehr profitieren. Denn Vertraute Kabilas hätten Vermögenswerte des Unternehmens beschlagnahmen lassen und verlangen Kompensationzahlungen in Milliardenhöhe.

Kobalt, China, Elektromobilität

Kobalt ist von strategischer Bedeutung für Europas und Amerikas Elektromobilität. Glencore-Boss Ivan Glasenberg: „Falls Kobalt in die Hände der Chinesen fällt, ja, dann werden Sie keine Elektroautos sehen, die in Europa produziert werden.“ Und falls Glencores Minen im Kongo, in denen Kupfer und Kobalt gefördert werden – enteignet würden, fielen diese in die Hände der bereits dominanten Chinesen. (FAZ, 28.4.2018)

Für batteriebetriebene Autos brauchen wir Kobalt in riesigen Mengen. Der Preis pro Tonne Kobalt stieg von rund 20 000 Dollar (2016) auf rund 90 000 Dollar (2018) an. Zu über 60% stammt dieser Rohstoff aus dem Kongo. Dort wird er teils im industriellen Maßstab, teils im Kleinbergbau und nicht selten von Kinderhand abgebaut. Die Raffinerie findet zu 70 bis 80% in China statt. China baut zudem zielstrebig die Kontrolle über das unveredelte Kobalt aus. Glencores großer Konkurrent im Kongo: China Molybdenum.

Kobalt: Minen im Kongo
Quelle: NZZ

Kobalt, Krieg, Korruption

Eine der von Glencore beherrschten Minen ist Katanga Mining. In deren Geschäftsbericht sind unter anderem folgende Risikofaktoren angeführt:

  • Krieg
  • zivile Unruhen
  • militärische Repression
  • Geiselnahme
  • Korruption
  • Annullierung von Bewilligungen oder Enteignungen.

Während das US-Justizdepartment, Großbritanniens Serious Fraud Office und mittlerweile – basierend auf einer Strafanzeige der NGO Public Eye – auch die Schweizer Bundesanwaltschaft Untersuchungen bei Glencore eingeleitet haben, hält Gertler sich als nobelpreiswürdig für seine Entwicklungshilfe im Kongo.

Rohstoff-Abbau in reiner Handarbeit. Der Unterschied zwischen Kleinbergbau und industriell betriebener Förderung ist frappant. (Kolwezi, 24. Februar 2018/William Clowes, Bloomberg)
Quelle: NZZ

Quellen und links

Ein israelischer Milliardär bringt Glencore in Teufelsküche, Markus Städeli, NZZ 7.7.2018

Kobalt ist die Achillesferse der schönen neuen E-Mobilität, Markus Städeli, NZZ 28.4.2018

über die Demokratische Republik Kongo: wikipedia

über Glencore: wikipedia

Mein smartphone, der Kongo und der Meeresgrund: eine 1-Sicht

fürs Lesen braucht man kein Kobalt
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand