Achtet auf die Worte! – Vom Flüchtlingsstrom und anderen Metaphern mit fragwürdigem Unterton

„Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden zu Worten.
Achte auf Deine Worte, denn sie werden zu Handlungen.
Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden zu Gewohnheiten. Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter. Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.“

Das Zitat ist je nach Quelle dem Talmud zugeordnet oder wird als chinesisches Sprichwort bezeichnet. Sei’s drum. Der Inhalt ist wert, bedacht zu werden. Auch Christen weisen in der Schuldformel „Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken.“ auf den engen Zusammenhang zwischen Begriffen und Handlungen hin.

Gut formulieren ist keine rein ästhetische Übung. Die Intentionen bestimmen die Wortwahl. Denn die Worte wirken auf Stimmungen, Haltungen, letztlich Taten. Die Welt hatte bereits ausreichend Gelegenheit, dies zu erkennen. Im Guten wie im Schlechten.  Menschen lassen sich von wohlgesetzten Worten ansprechen, gewinnen  und beeinflussen.

Wie Menschen zu Fluten gemacht werden

Aktuell können wir im Zusammenhang mit den Menschen, die auf der Flucht nach Europa sind, eine Verhärtung der ‚öffentlichen‘ Sprache beobachten. Dem ging die Linguistin Constanze Spieß nach. Sie  hinterfragt Sprachbilder in der aktuellen europäischen Flüchtlingsthematik. Davon war am 1. Nov. 2015 in der Zeitung Standard ausführlich und ist hier weiter unten auszugsweise zu lesen.

Im 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung beschreibt der griechische Historiker Thukydides in seinem Werk „Der Peloponnesische Krieg“, was in Kriegszeiten mit der Sprache gemacht wird.

Beginnen wir mit dem antiken Text, Kapitel „Die Pathologie des Krieges“:

Auch änderten sie die gewohnten Bezeichnungen für die Dinge nach ihrem Belieben. Unüberlegte Tollkühnheit galt für aufopfernde Tapferkeit, verausdenkendes Zaudern für aufgeputzte Feigheit, Besonnenheit für den Deckmantel der Ängstlichkeit, alles bedenkende Klugheit für alles lähmende Trägheit; wildes Draufgängertum hielt man für Mannesart, vorsichtig wägendes Weiterberaten wurde als schönklingender Vorwand der Ablehnung angesehen. Wer schalt und zürnte, war immer zuverlässig, wer widersprach, eben dadurch verdächtig.

(Quelle: Michael Köhlmeiers neue Sagen des klassischen Altertums – von Eos bis Aeneas, Piper Verlag)

Was sagt die moderne Linguistik? Lassen wir nun Constanze Spieß im Standard-Artikel „Die Metaphern über Flüchtlinge“ zu Wort kommen:

Da ist immer wieder von „Flüchtlingsströmen“ die Rede, von „Flüchtlingswellen“ oder einer „Flüchtlingsflut“, von ungeheuren Menschenmassen, die in Mitteleuropa „gestrandet“ sind.

„Mit dieser Naturkatastrophenmetaphorik im gegenwärtigen Flüchtlingsdiskurs wird mehr oder weniger unbewusst auf etwas Großes, Bedrohliches und nicht wirklich Steuerbares verwiesen, das sich mit dem Flüchtlingsbegriff verbindet.“ Die Imagination von Naturkatastrophen erzeugt Angst und ein Gefühl von Kontrollverlust – und genau dieser „Frame“ werde mit der Verwendung solcher Metaphern aufgerufen. Selbst wenn die Begriffe in eine neutrale oder sogar „flüchtlingsfreundliche“ Berichterstattung eingebunden sind.

Mittlerweile werden diese Begriffe derart häufig verwendet, dass sie selbst von vergleichsweise sprachsensiblen Menschen nicht mehr als Metaphern mit fragwürdigem Unterton wahrgenommen werden.

(Quelle: Standard.at, Doris Griesser)

Achten wir auf die Worte. Jene, die wir denken und aussprechen, denn sie machen uns aus. Und jene, die wir hören und lesen, denn sie könnten in einer Weise auf uns einwirken, die uns weder bewusst noch willlkommen ist.

WORTE: Weitere links

über  Thukydides: in Wikipedia

Interview mit Fritz Hausjell, Medienhistoriker an der Universität Wien, Standard.at, 8. Nov. 2015: Propaganda wie bei NS Aufstieg

Fotos des in Stein verewigten Thukydides vor dem österreichischen Parlament in Wien

der griechische Kriegsberichterstatter Thukydides vor dem österreichischen Parlament in Wien (Mitte)
der griechische Historiker Thukydides vor dem österreichischen Parlament in Wien (Mitte)
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Thukydides