Ein Facebook-Investor kritisiert Facebook

Roger McNamee investiert seit 35 Jahren in Technologieunternehmen des Silicon Valley. Auch in Facebook. Er beschreibt sich selbst als frühen Mentor und Coach von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und ist immer noch Teilhaber an Facebook. In seinem neuen Buch ‚Zucked: Waking Up to the Facebook Catastrophe‘ geht er mit jüngsten Entwicklungen streng zu Gericht. Im TIME vom 28. Jänner sind Auszüge veröffentlicht. Diese sind hier verkürzt und auf Deutsch übersetzt wieder gegeben.

Geschehnisse rund um die Wahl zum US-Präsidenten im Jahr 2016 irritierten McNamee. Eigenartige, verstörende Postings im Zusammenhang mit dem Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Bernie Sanders, im Newsfeed von Freunden machten ihn stutzig. Es schien ihm, als hätte jemand mit böswilligen Absichten die logische Architektur der Plattform missbraucht. Doch er musste zur Kenntnis nehmen, dass es eben diese Architektur selbst war, die den verstörenden Postings zur Verbreitung half. Ebenso wie jenen, die Lügen über den Brexit enthielten.

Wut und Angst erhöhen die Aufmerksamkeitsraten

Das Geschäftsmodell der ’sozialen‘ Plattform basiert auf Werbung. Diese wiederum braucht die Aufmerksamkeit der Kundinnen und Kunden. Um diese zu gewinnen, wird manipuliert. Wut und Angst steigern die Aufmerksamkeit – gemessen an Klicks, Teilen, Kommentaren und all den angebotenen Interaktionen. Facebook beobachtet die Verläufe und sammelt die Daten, der Algorithmus setzt wiederum die individuell beliebten Themen in den Newsfeed. So bekommt jede und jeder, was der eigenen Stimmungslage und der des Freundeskreises entspricht. Schon ist man in der Blase, steigert sich hinein und steigert die Interaktionen zu den scheinbar für alle Welt zentralen Themen. Und Facebooks Datenfülle wächst.

Daten – begehrte Ware

Mit jeder Aktion, die man als Nutzer des Netzwerkes tätigt, entblößt man sich mehr. Und Facebook kann genauere, korrekter Angaben, gehaltvollere Daten verkaufen. Wer werben, also die Aufmerksamkeit von Kunden oder Wählerinnen auf sich ziehen will, kann dies nun sehr individuell tun. Ein Vorteil, den Akteure aus Russland im Verlauf der US-Präsidentschaftswahl 2016 gut zu nutzen wussten, um Einfluss zu nehmen.

Facebook reagierte auf vehementer werdende Kritik, demokratiepolitisch kritisch zu agieren, zuerst mit Verleugnung, später mit Entschuldigung und Besserungsgelöbnis, welches sich allerdings auf irrelevante Algorithmusänderungen beschränkten.

Der Investor fordert Änderungen in 7 Bereichen

McNamee fordert Reformen auf seiten von Facebook und Big-Tech-Unternehmen in folgenden 7 Schlüsselbereichen:

1 Demokratie

Demokratie fußt auf gemeinsamen Werten, Fakten, Diskursen und der Herrschaft der Gesetze. Sie braucht eine freie Presse, um die Mächtigen bei ihrer Verantwortung zu nehmen. Diese hat Facebook (sowie Google und Twitter) von 2 Seiten unter Druck gebracht. Zum einen erodierte das ökonomische Feld von Journalismus durch die scheinbar kostenlosen Plattformen, die – auf den ersten Blick Demokratie fördernd – jedem Menschen ermöglichen, Gedanken, Artikel etc., zu veröffentlichen. Zum anderen verschwimmen in den sozialen Netzwerken Information und Desinformation. Wahrheit und Lüge sehen gleich aus. Desinformation kommt besser an, wird daher vom Algorithmus besser behandelt und so zur vermeintlichen Wahrheit. McNamee sieht die Lösung nur in einem grundsätzlich anderen Geschäftsmodell, das nicht falsch besser als wahr reiht und extremen Meldungen den Vorzug vor neutralen gibt.

2 Privatsphäre

McNamee hält die Überwachungsleistung von Facebook für eines Geheimdienstes würdig. Den Umgang mit den Daten hingegen keineswegs. Den Nutzerinnen und Nutzern sind Eigentum an den und Kontrolle über die Daten zu geben. Sie sollten ein Recht darauf haben, zu wissen, welche Organisationen und Personen Daten über sie besitzen. Und sie sollten die Möglichkeit haben, ihre Daten von einer zur anderen Plattform zu transferieren.

3 Kontrolle über die Daten

Daten von Personen sollen nur mit ausdrücklicher Zustimmung und angemessener Kompensation genutzt werden dürfen. Außerdem spricht sich McNamee für Nutzungsbeschränkungen durch die Plattformen aus. Es sollte definiert werden, welche Art von Daten gesammelt werden dürfen.

4 Regulierung

McNamee hält die Probleme bezüglich Datenkontrolle, Privatsphäre etc. für unerwünschte Nebeneffekte. Entwicklungen, die von den Plattformgründern nicht intendiert sind. Und für die die Plattformen nicht aufkommen müssen. Diese seien künstlich reich, da sie nicht für von ihnen angerichtete Schäden zahlen. Es liegt nun also am Staat, die Risiken mittels Regulierungen einzuschränken. Zumal es zusätzlich riskant ist, bezüglich technologischer Entwicklung und Innovation von einer Handvoll Monopolisten abhängig zu sein. Der – zweifelsohne beeindruckende – Erfolg von Google, Amazon und Facebook macht es jungen Unternehmen in der Technologiebranche heute sehr sehr schwer, ökonomisch erfolgreich zu sein. Ist ihr Produkt vielversprechend, werden sie von den Marktführern kurzerhand aufgekauft. Dies durch Gesetze zu verhindern, könnte ein erster Regulierungsschritt sein, die Monopolisierungstendenzen einzuschränken.

5 Menschlichkeit

McNamee glaubt daran, dass das nächste große Silicon-Valley-Ding die an Menschlichkeit orientierte Technologie sein wird. Technologie, die Menschen stärkt statt sie auszubeuten. Plattformen, die – wie Facebook – die Vernetzung der Menschen unterstützt ohne ihre Daten zu verkaufen, könnten als öffentliches Gut gelten und daher staatliche Finanzunterstützung beziehen. So wie auch Energiegewinnung, Landwirtschaft und andere ökonomische Aktivitäten, die als gesellschaftlich bedeutsam eingestuft werden, Subventionen erhalten.

6 Suchtprävention

Das Design der Plattformen ebenso wie der Gerätschaften, mit denen man die Plattformen ansteuert, sind geradezu dafür ausgelegt, immer mehr zu wollen, süchtig zu werden. Süchtig nach der Anerkennung für einen gelungen Post, ein Foto. Süchtig nach der Aufmerksamkeit, die zahllose hochgehobene Daumen, grinsende Kreise oder rote Herzen scheinbar schenken. Millionen Menschen greifen in der Früh als erstes zum Smartphone. Noch vor dem Gang auf die Toilette, dem Duschen und dem Frühstück. Zunehmend mehr Menschen klagen über Schlafstörungen, weil sie bis spät mit dem Smartphone oder Tablet arbeiten bzw. spielen und nicht zur Ruhe kommen. McNamee sieht die Notwendigkeit von öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen, um der Internetabhängigkeit vorzubeugen.

7 Kinder schützen

Für eine zunehmende Anzahl an Kindern ist die stimulierende virtuelle Welt attraktiver als die reale. SMS-Schreiben ersetzt das persönliche Gespräch. Mediziner sprechen alarmiert von einem unbegleiteten psychologischen Experiment und fordern Regulierungen – z. B. Mindestalter für die Nutzung von Smartphones

McNamees Artikel schließt mit dem Aufruf, einerseits das persönliche Internet- und Social-Media-Verhalten kritisch zu hinterfragen und zu verändern, andererseits die Internet-Plattformen für unerwünschte, bedenkliche, gefährliche Nebenwirkungen für Demokratie oder Gesundheit verantwortlich zu machen.

Quellen und links

TIME 28. Jänner 2018: How to fix social media before it is to late

Facebook: Wenn User sich für Kunden halten, 1-sicht vom 12. April 2018

Facebook-Investor sollte Bücher lesen
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand