Das postfaktische Zeitalter sei angebrochen, heißt es. Die Presse wird als Lügenpresse verunglimpft und der Verbreitung von fake-news bezichtigt. Manch sogenannte Medienunternehmen werden diesem Vorwurf tatsächlich gerecht. In den USA werden aus dem Umfeld des 45. Präsidenten offensichtliche Unwahrheiten als alternative Fakten bezeichnet. Im ‚Informationszeitalter‘, in dem das Internet umfassende Informationsmöglichkeit für alle Menschen verheißen hat, scheint die aufgeklärte Suche nach der Wahrheit einer fehlinterpretierten Idee des Rechts auf Meinungsfreiheit gewichen zu sein.
Mit belegbaren Tatsachen Lügen und fake-news entlarven
Marco Bertolaso, Nachrichtenchef des Deutschlandfunks, weist in seinem Kommentar ‚Eine Lüge ist eine Lüge‘ vom 23.1.2017 sehr ausdrücklich darauf hin, dass man in modernen von der Aufklärung geprägten Gesellschaften zwar seine eigene Meinung nicht aber seine eigenen Fakten vertreten kann. Auch wenn man selbst im 21. Jahrhundert bezüglich der Tatsachen vielfach im Dunkeln tappt, müsse es unser Bestreben sein „mit immer neuen Anstrengungen und im Austausch mit anderen den Dingen auf den Grund zu gehen, bis wir der Tatsachen halbwegs sicher sind.“ Dass in den USA des 21. Jahrhunderts dieses Prinzip negiert und Medien mit Sanktionen gedroht wird, die bei ihrer – wir unterstellen: durch Recherche, Check und Gegencheck belegbaren – Darstellung bleiben, sei bedenklich und erinnert Bertolaso an den einstigen Umgang der Kirche mit Galileo Galilei, der nicht sagen durfte, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Wenn die Machthaber Kontrolle über die Nachrichten ausüben, schließen sich die Menschen früher oder später den gleichgeschaltenen Informationen an. Geschickte Diktatoren perfektionieren die Medienkontrolle. So hat beispielsweise der NS-Staat mittels professioneller Nutzung des damals neuen Massenmediums Radio „schlimmste Verbrechen mit falschen Tatsachenbehauptungen vorbereitet und begleitet“.
Bertolaso fordert insbesondere von den Medien, aber auch von allen anderen Institutionen, Lügen belegbar und begründbar als Lügen zu entlarven und Behauptungen als solche und nicht als Tatsachen zu präsentieren.
Mit unstrittigen Beweisen wider die Erschütterung des Expertentums
Der Sprachwissenschaftler Ekkehard Felder von der Universität Heidelberg warnt vor der „Erschütterung jedweden Expertentums“, wenn so gut wie jede Nachricht in den Dunstkreis der Lüge gezogen wird. Er plädiert für die Differenzierung zwischen Daten (unstrittige Beweise wie Zahlen und Fotos) und Fakten, welche bereits einer Interpretation unterzogen worden und damit uneindeutig seien. (Deutschlandradio Kultur, 23.1.2017)
Welch herausfordernde und demokratiepolitisch wichtige Aufgabe für seriöse Medien!
Trump in den rhetorischen Fußstapfen Milošević?
Was heute in den USA ‚alternative Fakten‘ sind, war ab den späten 1980er Jahren die ’serbische Wahrheit‘, mit der der spätere Präsident Serbiens und Jugoslawiens seine Macht aufbaute, konstatiert die Philosophin Dunja Melčić im Feuilletonbeitrag vom 20.1.2017 auf Deutschlandradio Kultur ‚Glatt gelogen wirkt verdammt ehrlich‘. In der serbischen Kommunikation habe die mündliche Sprache eine lange Tradition, was es dem Machthaber leicht machte, seine ‚Wahrheit‘ ungeachtet der offensichtlich verfügbaren Fakten sowie der Wirklichkeit zu verbreiten. Es sei im Wesentlichen darauf angekommen, wer etwas gesagt hat und nicht was gesagt wurde. „Wie das Oberhaupt eines schriftlosen Klans galt Milošević als die reine Quelle der quasi mündlichen Wahrheit.“, schreibt Melčić. Sein Stil war geprägt von vulgären Ausdrücken, die er in die sehr formale Funktionärssprache einfließen ließ, wodurch sie einen Eindruck von Unmittelbarkeit und Bürgernähe gewann. Dies sei vergleichbar mit Trumps Twitteraussagen, mit denen er sich direkt und ohne Filter durch Medien an die Bevölkerung wendet. Melčić über politische Führer a la Milošević und Trump: „Was sie sagen ist oft glatt gelogen. Es wirkt aber verdammt ehrlich.“
Quellen und links
Deutschlandfunk, Kommentar ‚Eine Lüge ist eine Lüge von Marco Bertolaso, 23.1.2017
Deutschlandradio Kultur, Interview mit Ekkehard Felder ‚Jeder Experte ist erst mal verdächtig‘, 23.1.2017
Deutschlandradio Kultur, Feuilleton von Dunja Melčić ‚Glatt gelogen wirkt verdammt ehrlich‘, 20.1.2017
über Donald Trump – wikipedia
über Slobodan Milošević – wikipedia
Meinungsfreiheit, freie Meinungsäußerung – Menschenrechte, Artikel 19 auf 1-sicht