Die Klimakatastrophe kommt. Um uns darauf vorzubereiten, sollten wir zugeben, dass wir sie nicht verhindern können. Das schreibt Jonathan Franzen in seinem Kommentar in der Zeitung The New Yorker am 8. September 2019. Seine Einschätzungen muten drastisch an.
hoffen und leugnen
Wer jünger als 60 Jahre ist, hat gute Chancen, Zeuge der radikalen Destabilisierung des Lebens auf der Erde zu sein: Ernteausfälle, apokalyptische Feuer, zusammenbrechende Volkswirtschaften, epische Fluten, Millionen von Flüchtlingen, die aus Regionen fliehen, welche aufgrund von extremer Hitze oder ständiger Trockenheit unbewohnbar geworden sind. Wer unter 30 ist, wird garantiert Zeuge.
Wer sich um den Planeten Erde und die Menschen und Tiere, die diesen bewohnen, sorgt, hat zwei Möglichkeiten: Entweder hoffen, dass die Katastrophe vermieden wird und immer frustrierter oder verärgerter über die Untätigkeit der Welt sein. Oder akzeptieren, dass das Unglück kommt und darüber nachdenken, was Hoffnung bedeuten kann.
In der Öffentlichkeit überwiegt die Hoffnung auf Vermeidung. Obwohl sich die Faktenlage zum Klimawandel in den vergangenen 30 Jahren verändert hat, bleiben die Botschaften gleich. ‚Ärmel aufkrempeln‘, ‚Planeten retten‘, ‚Lösung der Klimaproblem ist möglich, man müsse nur wollen.‘ Dies mag in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wahr gewesen sein, als die Wissenschaft Klarheit über das Ausmaß der von den Menschen verursachten Emissionen in die Atmosphäre bekam. Mittlerweile ist es unrealistisch.
Psychologisch mag diese Leugnung sinnvoll sein. Trotz der ungeheuerlichen Tatsache, dass man sterben muss, lebt man in der Gegenwart und nicht in der Zukunft. Man schenkt seine Aufmerksamkeit lieber seinem Frühstück heute als seinem Tod irgendwann. Und eigentlich ist ja mit dem Planeten noch alles weitgehend normal. Anders als religiöse oder thermonukleare Apokalypsen, denen das Binaritätsprinzip zu Grunde liegt – mit einem Schlag ist die gerade noch funktionierende Welt zerstört – anders als derartige Apokalypsen ist die Klimakatastrophe schleichend. Zunehmend schwerere, chaotische Krisen werden zum Zerfall der Zivilisationen führen.
Es wird also sehr schlecht werden. Aber vielleicht nicht für alle. Und vielleicht nicht für einen selbst.
Stopp der Klimakatastrophe: radikale Einschnitte wären nötig
Die Atmosphäre und die Ozeane können nur solange Hitze aufnehmen, solange der Klimawandel aufgrund von Rückkoppelungen nicht völlig aus dem Ruder läuft. Wissenschafter sagen, dass der kritische Punkt bei einer Erwärmung der Erde um rund 2 Grad Celsius erreicht ist. Laut Intergovernmental Panel on Climate change – I.P.C.C – müssen wir in den nächsten 3 Dekaden erreichen, dass 0 (in Worten: Null) klimaschädliche Emissionen in die Atmosphäre gelangen. Es reicht nicht, den Trend der vergangenen 3 Jahrzehnte umzudrehen.
Gemäß einer Publikation im Magazin Nature würden die CO2-Emissionen der global bereits vorhandenen Infrastruktur bei Nutzung während der normalen Lebensdauer die ‚erlaubten‘ CO2-Emissionen übersteigen. Bei dieser Schätzung sind die zahllosen im Bau befindlichen und geplanten Projekte für neue Energie- und Transportsysteme nicht berücksichtigt. Um innerhalb der erlaubten Grenzen zu bleiben, müsse in den Ländern und länderübergreifend interveniert werden. New York City zu einer grünen Utopie zu wandeln, wird nichts bringen, wenn in Texas weiterhin nach Öl gebohrt und mit dem Pickup gefahren wird.
Interventionen sind auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Die Biotreibstoffförderung der EU beschleunigte die Abholzung in Indonesien für Palmölfarmen. Das ist kafkaesk. Von den amerikanischen Unterstützungen für Ethanoltreibstoff profitierten die Maisfarmer.
Schließlich müssen die Menschen hohe Steuern und Einschränkungen akzeptieren. Sie müssen die Realität des Klimawandels akzeptieren und darauf vertrauen, dass die harten Eingriffe sinnvoll sind. Sie dürfen unliebsame Nachrichten nicht als fake news abtun. Sie müssen Nationalismen, Klassen- und Rassensentiments beiseite stellen. Sie müssen Opfer für Nationen, die in weiter Ferne und Generationen, die in weiter Zukunft leben, erbringen.
auf die Klimakatastrophe vorbereiten
Trotz aller Evidenzen für die Klimakatastrophe, ändert die Menschheit nichts. Statt zu leugnen, sollten wir uns daher die Wahrheit sagen und uns dieser stellen. Die Klimakatastrophe kommt. Bereiten wir uns darauf vor.
Auch mit dieser Einstellung ist es richtig, an der Reduktion der CO2-Emissionen zu arbeiten. Selbst wenn wir die Erwärmung um 2 Grad nicht verhindern können, ist jeder verhinderte Hurrikan, jede verhinderte Flut ein Ziel, auf das hinzuarbeiten lohnend ist. Es ist eine ethische Entscheidung für jede und jeden Einzelnen, sich für die bessere von zwei oder mehreren Handlungsoptionen zu entscheiden.
Unklug ist es, den Hauptfokus auf den Versuch der Vermeidung des Klimawandels zu legen und überwiegend in Megaprojekte für erneuerbare Energien zu investieren, wenn dabei bestehende Öko-Systeme zerstört werden (wie z.B. in Nationalparks in Kenia oder für Wasserkraftprojekte in Brasilien). Das schwächt die Widerstandskraft der Natur zusätzlich. Zudem fehlen dann Finanzmittel für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe nach Katastrophen.
Sobald die Menschheit eingesteht, dass der Kampf gegen den Klimawandel verloren ist, werden andere Maßnahmen wichtiger. Maßnahmen, die die Gesellschaften in den Blick nehmen. Mit zunehmendem Chaos neigt der Mensch zu Tribalismus. Selbstjustiz tritt an die Stelle der Gesetze. Um dem vorzubeugen, muss das sichere Funktionieren von Demokratien, rechtsstaatlichen Systemen und der Gemeinschaften garantiert sein. Die Stärkung zivilisatorischer Errungenschaften kann eine Vorbereitung auf die zu erwartende Klimakatastrophe sein.
Die Hoffnung auf die Umkehr des Klimawandels kann aufgegeben werden. Nicht aufzugeben sind kleine Hoffnungen, genährt durch das individuelle Engagement in Projekte, Institutionen, Orte, Naturerscheinungen, die man für wichtig hält, die man schätzt. Wer weiß, wie überlebenswichtig ‚kleine‘, regionale, vereinzelte Organisationen und Biotope dereinst sein werden.
Quellen und links
The New Yorker: What, if we stopped pretending?
Jonathan Franzen: Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? – der Essay in deutscher Fassung
Jonathan Franzen:
wikipedia – deutsch
wikipedia – englisch
Jonathan Franzen und das Klima: Dürfen Dichter denken? – Konrad Paul Liessmann in der NZZ, 11. 2. 2020