1-sicht empfiehlt Lese-, Hör-, Sehstoff: Jänner 2020

Die unbewohnbare Erde.
Leben nach der Erderwärmung
von David Wallace-Wells

Die heute schon spürbaren und die schlimmstmöglichen Folgen der Klimaerwärmung sind das Thema des Journalisten David Wallace-Wells in diesem spektakulären Report, der die vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die Mehrheit der Menschen oft gar nicht erreichen, begreifbar, ja fühlbar macht. (der Freitag)

unbewohnbare Erde
Originaltitel: The Uninhabitable Earth
Originalverlag: Crown/Tim Duggan Books

Quellen und links

Verlag Randomhouse

der Freitag – die Wochenzeitung

die unbewohnbare Erde lesen
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Auf die Klimakatastrophe vorbereiten

Die Klimakatastrophe kommt. Um uns darauf vorzubereiten, sollten wir zugeben, dass wir sie nicht verhindern können. Das schreibt Jonathan Franzen in seinem Kommentar in der Zeitung The New Yorker am 8. September 2019. Seine Einschätzungen muten drastisch an.

hoffen und leugnen

Wer jünger als 60 Jahre ist, hat gute Chancen, Zeuge der radikalen Destabilisierung des Lebens auf der Erde zu sein: Ernteausfälle, apokalyptische Feuer, zusammenbrechende Volkswirtschaften, epische Fluten, Millionen von Flüchtlingen, die aus Regionen fliehen, welche aufgrund von extremer Hitze oder ständiger Trockenheit unbewohnbar geworden sind. Wer unter 30 ist, wird garantiert Zeuge.

Wer sich um den Planeten Erde und die Menschen und Tiere, die diesen bewohnen, sorgt, hat zwei Möglichkeiten: Entweder hoffen, dass die Katastrophe vermieden wird und immer frustrierter oder verärgerter über die Untätigkeit der Welt sein. Oder akzeptieren, dass das Unglück kommt und darüber nachdenken, was Hoffnung bedeuten kann.

In der Öffentlichkeit überwiegt die Hoffnung auf Vermeidung. Obwohl sich die Faktenlage zum Klimawandel in den vergangenen 30 Jahren verändert hat, bleiben die Botschaften gleich. ‚Ärmel aufkrempeln‘, ‚Planeten retten‘, ‚Lösung der Klimaproblem ist möglich, man müsse nur wollen.‘ Dies mag in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wahr gewesen sein, als die Wissenschaft Klarheit über das Ausmaß der von den Menschen verursachten Emissionen in die Atmosphäre bekam. Mittlerweile ist es unrealistisch.

Psychologisch mag diese Leugnung sinnvoll sein. Trotz der ungeheuerlichen Tatsache, dass man sterben muss, lebt man in der Gegenwart und nicht in der Zukunft. Man schenkt seine Aufmerksamkeit lieber seinem Frühstück heute als seinem Tod irgendwann. Und eigentlich ist ja mit dem Planeten noch alles weitgehend normal. Anders als religiöse oder thermonukleare Apokalypsen, denen das Binaritätsprinzip zu Grunde liegt – mit einem Schlag ist die gerade noch funktionierende Welt zerstört – anders als derartige Apokalypsen ist die Klimakatastrophe schleichend. Zunehmend schwerere, chaotische Krisen werden zum Zerfall der Zivilisationen führen.

Es wird also sehr schlecht werden. Aber vielleicht nicht für alle. Und vielleicht nicht für einen selbst.

Stopp der Klimakatastrophe: radikale Einschnitte wären nötig

Die Atmosphäre und die Ozeane können nur solange Hitze aufnehmen, solange der Klimawandel aufgrund von Rückkoppelungen nicht völlig aus dem Ruder läuft. Wissenschafter sagen, dass der kritische Punkt bei einer Erwärmung der Erde um rund 2 Grad Celsius erreicht ist. Laut Intergovernmental Panel on Climate change – I.P.C.C – müssen wir in den nächsten 3 Dekaden erreichen, dass 0 (in Worten: Null) klimaschädliche Emissionen in die Atmosphäre gelangen. Es reicht nicht, den Trend der vergangenen 3 Jahrzehnte umzudrehen.

Gemäß einer Publikation im Magazin Nature würden die CO2-Emissionen der global bereits vorhandenen Infrastruktur bei Nutzung während der normalen Lebensdauer die ‚erlaubten‘ CO2-Emissionen übersteigen. Bei dieser Schätzung sind die zahllosen im Bau befindlichen und geplanten Projekte für neue Energie- und Transportsysteme nicht berücksichtigt. Um innerhalb der erlaubten Grenzen zu bleiben, müsse in den Ländern und länderübergreifend interveniert werden. New York City zu einer grünen Utopie zu wandeln, wird nichts bringen, wenn in Texas weiterhin nach Öl gebohrt und mit dem Pickup gefahren wird.

Interventionen sind auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Die Biotreibstoffförderung der EU beschleunigte die Abholzung in Indonesien für Palmölfarmen. Das ist kafkaesk. Von den amerikanischen Unterstützungen für Ethanoltreibstoff profitierten die Maisfarmer.

Schließlich müssen die Menschen hohe Steuern und Einschränkungen akzeptieren. Sie müssen die Realität des Klimawandels akzeptieren und darauf vertrauen, dass die harten Eingriffe sinnvoll sind. Sie dürfen unliebsame Nachrichten nicht als fake news abtun. Sie müssen Nationalismen, Klassen- und Rassensentiments beiseite stellen. Sie müssen Opfer für Nationen, die in weiter Ferne und Generationen, die in weiter Zukunft leben, erbringen.

auf die Klimakatastrophe vorbereiten

Trotz aller Evidenzen für die Klimakatastrophe, ändert die Menschheit nichts. Statt zu leugnen, sollten wir uns daher die Wahrheit sagen und uns dieser stellen. Die Klimakatastrophe kommt. Bereiten wir uns darauf vor.

Auch mit dieser Einstellung ist es richtig, an der Reduktion der CO2-Emissionen zu arbeiten. Selbst wenn wir die Erwärmung um 2 Grad nicht verhindern können, ist jeder verhinderte Hurrikan, jede verhinderte Flut ein Ziel, auf das hinzuarbeiten lohnend ist. Es ist eine ethische Entscheidung für jede und jeden Einzelnen, sich für die bessere von zwei oder mehreren Handlungsoptionen zu entscheiden.

Unklug ist es, den Hauptfokus auf den Versuch der Vermeidung des Klimawandels zu legen und überwiegend in Megaprojekte für erneuerbare Energien zu investieren, wenn dabei bestehende Öko-Systeme zerstört werden (wie z.B. in Nationalparks in Kenia oder für Wasserkraftprojekte in Brasilien). Das schwächt die Widerstandskraft der Natur zusätzlich. Zudem fehlen dann Finanzmittel für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe nach Katastrophen.

Sobald die Menschheit eingesteht, dass der Kampf gegen den Klimawandel verloren ist, werden andere Maßnahmen wichtiger. Maßnahmen, die die Gesellschaften in den Blick nehmen. Mit zunehmendem Chaos neigt der Mensch zu Tribalismus. Selbstjustiz tritt an die Stelle der Gesetze. Um dem vorzubeugen, muss das sichere Funktionieren von Demokratien, rechtsstaatlichen Systemen und der Gemeinschaften garantiert sein. Die Stärkung zivilisatorischer Errungenschaften kann eine Vorbereitung auf die zu erwartende Klimakatastrophe sein.

Die Hoffnung auf die Umkehr des Klimawandels kann aufgegeben werden. Nicht aufzugeben sind kleine Hoffnungen, genährt durch das individuelle Engagement in Projekte, Institutionen, Orte, Naturerscheinungen, die man für wichtig hält, die man schätzt. Wer weiß, wie überlebenswichtig ‚kleine‘, regionale, vereinzelte Organisationen und Biotope dereinst sein werden.

Quellen und links

The New Yorker: What, if we stopped pretending?

Jonathan Franzen: Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? – der Essay in deutscher Fassung

Jonathan Franzen:
wikipedia – deutsch
wikipedia – englisch

Jonathan Franzen und das Klima: Dürfen Dichter denken? – Konrad Paul Liessmann in der NZZ, 11. 2. 2020

über die Klimakatastrophe lesen
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Klimaanlagen-Dilemma: sie kühlen uns und heizen das Weltklima an

Lang anhaltende Hitze und Trockenheit machen Mitteleuropa im Sommer 2018 zu schaffen. Von Ernteausfällen, Getreideknappheit und Futterengpässen für die Tiere wird berichtet und davor gewarnt, dass die große Hitze für obdachlose Menschen genauso gefährlich ist wie Winterkälte, da sie keine Möglichkeiten zur Kühlung und Regeneration haben. TIME berichtet in der Ausgabe vom 30. Juli 2018 von schmelzenden Straßen in Großbritannien, von Hitzerekorden von rund 40 Grad Celsius in Kalifornien und von über 70 Hitzetoten in Quebec/Kanada. Doch möglicherweise ist dieser Sommer Vorbote für zukünftige. „Wir erleben einen Hitzesommer, wie er bald zur Norm werden könnte“, mutmaßt beispielsweise Christian Speicher in der NZZ vom 4.8.2018. Was bedeutet das für die Menschen?

Die Organisation Sustainable Energy for All, die mit UN und Weltbank in Verbindung steht, geht davon aus, dass 1, 1 Milliarden Menschen weltweit keine Möglichkeit zu adäquater Kühlung haben. Die Internationale Energie Agentur (IEA) zeigt in einer Analyse vom Mai, dass nur 8% der Menschen in den heißesten Regionen der Erde über Klimaanlagen verfügen, hingegen über 90% der Menschen in den USA und Japan.

Klimaanlagen – vom Luxus zur Notwendigkeit

Große Hitze belastet den Körper und kann in extremen Fällen zu Organversagen führen. Die Zahl der Personen, die aufgrund von Hitze sterben, kann gemäß Weltgesundheitsorganisation (WHO) in 2050 über 250.000 betragen. Und Sustainable Energy for All geht davon aus, dass die Produktivität sinken wird, in besonders heißen Regionen wie Teilen Asiens und Afrikas um bis zu 12%. Dazu kommt, dass mangelnde Kühlmöglichkeiten die Ernährungssicherheit gefährdet und die Aufbewahrung von Medikamenten erschwert.

Kühlung durch Klimaanlagen wird in immer mehr Regionen der Welt vom Luxus zur Überlebensnotwendigkeit. Die wachsende Mittelschicht in den sogenannten Entwicklungsländern investiert in Klimananlagen. Für Personen, die diese Möglichkeit nicht haben, werden seitens der Regierung Einrichtungen zur Verfügung gestellt, in denen man sich abkühlen und regenerieren kann.

Klimaanlagen forcieren Klimaerwärmung

Dumm nur, dass der Betrieb der Klimaanlagen sehr energieintensiv ist. Insbesondere in Entwicklungsländern, wo Energie hauptsächlich aus fossilen Quellen genutzt wird, tragen Klimaanlagen massiv zur Klimaerwärmung bei. IEA schätzt, dass im Jahr 2050 die Kühlung von Räumen soviel Energie verbrauchen wird, wie aktuell China für seine komplette Elektrizität. Kühlung ist, laut UN-Umweltprogramm, wahrscheinlich für den größten Anteil des Energieverbrauchs verantwortlich.

Abgesehen davon geben Klimaanlagen klimaschädliche Fluorkohlenwasserstoffe ab. Bis zum Ende dieses Jahrzehntes könnten allein die Emissionen die Erderwärmung um 0,3 Grad Celsius anheizen, sagen Wissenschafter voraus. Das wäre ein beträchtlicher Anstieg im Hinblick auf das Klimaziel, auf das sich die Weltgemeinschaft auf der Klimakonferenz in Paris in 2015 verständigt hat: Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2 °C, möglichst 1,5 °C im Vergleich zu vorindustriellen Levels. Das Kigali Cooling Efficiency Programm sieht daher auch vor, Klimaanlagen ohne Fluorkohlenwasserstoffe zu entwickeln. 197 Nationen verpflichteten sich zur Reduktion dieser Treibhausgase in Kühlgeräten und Klimaanlagen von über 80% in den kommenden 30 Jahren.

Quellen und links

ohne Klimaanlagen lesen ist schön
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Klimawandel potenziert Konflikte

Die uns alle erschütternden Terroranschläge in Paris am 13.11.2015 überschatten die im Vorfeld mit großen Hoffnungen verbundene 21. Klimakonferenz, die vom 30. November bis 11. Dezember in Paris stattfinden wird. Plötzlich liegen Terrorangst und Klimaveränderung unmittelbar beieinander. Der Horror vor Terror ist größer als die Sorge vor den Auswirkungen des Klimawandels.

Klimawandel ist Sicherheitsrisiko

Dass der Klimawandel ein globales Sicherheitsrisiko darstellt, legen ExpertInnen seit langem immer wieder dar. Zuletzt nahm unter anderem Benjamin Pohl von der Denkfabrik adelphi im Interview mit Deutschlandfunk (DLF) dazu Stellung.

Es gab in den Medien in den letzten Monaten eine ziemliche Debatte zu Syrien, inwiefern der Bürgerkrieg in Syrien durch den Klimawandel mit angetrieben wurde, und da ist relativ deutlich, dass es im Vorfeld zu den Demonstrationen eine langjährige Dürre gab, die dazu beigetragen hat, dass aus vielen ländlichen Gegenden die Leute ihre Lebensgrundlage verloren haben und in die Städte umgesiedelt sind, wo wiederum die Reaktionen der syrischen Regierung oder das, was sie getan haben, völlig unzureichend war dafür, um diesen Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen, und das hat sicherlich eine Grundlage mit geschaffen dafür, dass dieser Konflikt so eskaliert ist. Das soll keinesfalls heißen, dass der syrische Bürgerkrieg in erster Linie ein Klimakrieg wäre. Der Begriff ist sicherlich ein irreführender.

Der syrische Bürgerkrieg ist in erster Linie ein Konflikt um das autoritäre Regime von Assad, das in menschenverachtender Weise gegen seine eigene Bevölkerung vorgeht. Aber diese strukturellen Grundlagen sollten dabei nicht aus dem Blickfeld geraten, und die sind zum einen sicherlich durch den Klimawandel verursacht, zum anderen natürlich auch durch jahrzehntelanges Missmanagement der Wasservorräte des Landes, dass man zugelassen hat, dass jenseits der nachhaltigen Möglichkeiten Wasser gefördert wurde, und irgendwann ist es dann alle und dann fehlt den Leuten die Lebensgrundlage.

Pohl mahnt ein, angesichts der sich permanent in die Nachrichten drängenden Ereignisse die strukturellen Aufgaben im Rahmen des Klimawandels nicht aus dem Blick zu verlieren.

Sozialer Unfriede durch Dürre und andere Umweltphänomene

Auch Achim Steiner, Chef des UNO-Umweltprogramms ist sicher, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und den Konflikten in der Welt gibt. Ebenfalls in einem DLF-Interview sagt er, Phänomene wie Dürre oder steigende Meeresspiegel trügen zu sozialem Unfrieden bei.

Es liegt vor allem in den Zusammenhängen, die wir, glaube ich, uns immer wieder vor Augen führen müssen. Es ist ja nicht so, dass Terror ein isoliertes Phänomen ist und dass auch der Klimawandel in sich selbst sozusagen Terror oder Konflikte schürt. Aber was wir heute genau wissen ist, dass in unseren Gesellschaften durch Klimawandel Umstände entstehen und auch Entwicklungen stattfinden werden, die den Konflikt noch eher potenzieren, den Wettbewerb um Ressourcen, dass Menschen zu Flüchtlingen werden, und gerade auch an dem Beispiel Syriens, das ja sehr tragisch verdeutlicht, wie die Dürreperiode über vier Jahre dazu führte, dass über eine Million Menschen aus den ländlichen Regionen fliehen musste und dadurch den sozialen Unfrieden erst einmal noch geschürt hat, das sind Beispiele, die wir uns mit nicht sehr viel Fantasie auch in der Zukunft sehr vor Augen führen müssen, wenn Millionen von Menschen durch Dürreperioden, durch den Klimawandel, auch zum Beispiel Meeresspiegelanstieg, Umsiedlung in den Küstenzonen zu Situationen führen, wo unsere Gesellschaften unter Stress geraten. Und da ist natürlich der Konflikt vorprogrammiert und damit ja, ist der Zusammenhang Klimawandel-Konfliktpotenzial, der auch oft in Bürgerkriege ausarten kann, sicherlich gegeben und bereits durch viele Beispiele zumindest im Ansatz verdeutlicht.

Risiken des Klimawandels

NewClimateForPeace_Seven compound climate-fragility risks -threaten states and societies

Links

Deutschlandfunk 17.11.2015: Globale Erwärmung als Sicherheitsrisiko

adelphi

Deutschlandfunk 18.11.2015: „Das Konfliktpotenzial des Klimawandels ist gegeben“

Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP

A new climate for Peace

1-sicht findet: Lesen bildet.
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand