Desinformation durch Asymmetrie in der Berichterstattung

Nicht nur Lügen – neuerdings als fake-news oder alternative Fakten bezeichnet – tragen zur Desinformation bei. Auch Asymmetrie bei der Berichterstattung führt dazu, dass das Publikum einen verfälschten, sogar falschen Eindruck von Geschehnissen erhält und falsche Schlüsse zieht.

Zur Asymmetrie bei journalistischer Arbeit zählen Serge Halimi und Pierre Rimbert von Le Monde diplomatique, wenn vergleichbare Ereignisse in nicht vergleichbarer Weise beschrieben und kommentiert werden, unter anderem durch

  • unterschiedliche Wortwahl
  • unterschiedliche Häufigkeit und/oder Prominenz von Nachrichten
  • Auslassungen

Halimi und Rimbert nehmen die Berichterstattung über den Abschuss der US-Drohne durch den Iran am 20. Juni 2019 zum Anlass, auf Asymmetrie hinzuweisen. Zur Erinnerung, Iran zerstörte eine Drohne, die sich nach Teheran-Version innerhalb, nach Pentagon-Version außerhalb des iranischen Territoriums befand. Doch kaum jemand stellte die prinzipielle Frage nach der Legitimität der US-amerikanischen Militärpräsenz am Golf. Macht es einen Unterschied, ob ein (böser) autoritärer Staat oder eine (gute) Demokratie internationales Recht verletzt?

Gräueltat versus unvermeidbarer Unfall

Anhand der Berichterstattung über 2 Flugzeugabschüsse in den 1980er Jahren soll Asymmetrie in US-amerikanischen Medien (New York Times, Time Magazin, Newsweek KAL, Washington Post) sichtbar gemacht werden.

Flugzeugabschuss 1, 1983 – ‚Gräueltat‘

Boeing 747 der Korean Air Lines mit 269 Passagieren an Bord, am Weg von Seoul nach New York, abgeschossen am 1. September 1983 durch einen sowjetischen Suchoi-Jäger

Das Flugzeug war nachts aus Versehen von der Route abgekommen und in den sowjetischen Luftraum über sensible Militäranlagen gekommen. Der Kreml erklärte, es für ein Spionageflugzeug gehalten zu haben.

In der New York Times las man am 2. September 1983 unter dem Titel ‚Mord in der Luft: „Es kann keine Entschuldigung geben, wenn ein Land – ganz gleich, welches – ein harmloses Linienflugzeug abschießt.“

Newsweek schrieb am 13. September 1983: „Mord in der Luft. Ein unbarmherziger Hinterhalt.“ und das Time Magazin am selben Tag „Schießen, um zu töten. Gräueltat in der Luft. Die Sowjets schießen ein ziviles Flugzeug ab“

Flugzeugabschuss 2, 1988 – ‚Unfall‘

Flug 655 der Iran Air, Linienflugzeug mit 290 Passagieren an Bord, am Weg nach Dubai, zerstört am 3. Juli 1988 durch den Kreuzer „USS Vincennes“, der in iranischen Hoheitsgewässern patroullierte.

Anfangs bestritten die USA, für den Abschuss verantwortlich gewesen zu sein, schließlich gestand die US-Regierung mit dem Ausdruck ‚tiefen Bedauerns‘ den Vorfall ein und zahlte den Familien der Opfer Entschädigung (61,8 Millionen Dollar).

In der New York Times las man z.B.: „Auch wenn dieses Ereignis schrecklich ist, es war ein Unfall. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie die Navy ihn hätte verhindern können.“ oder „Auch der Iran ist verantwortlich, wenn er zivile Flugzeuge in die Nähe eines Kampfgebietes fliegen lässt, zumal er diese Auseinandersetzung selbst begonnen hat.“

Newsweek titelte am 18. Juli 1988: „Warum es geschah.“ – Wurde die Zerstörung durch das sowjetische Spionageflugzeug als aktive ‚Gräueltat‘ beschrieben, war die Zerstörung durch den US-Kreuzer ein passives Ereignis. Ähnlich das Time Magazin, das berichtete „Was am Golf schiefging“.

neutrale versus empathische Begriffe

Washington Post und New York Times wählten im Falle des Sowjet-Abschusses am häufigsten die Adjektive brutal, barbarisch, absichtlich, kriminell. Den Abschuss durch das US-Kriegsschiff bezeichneten sie am häufigsten als irrtümlich, tragisch, verständlich, gerechtfertigt.

Die Opfer waren im ersten Fall ‚unschuldige Menschen‘ oder ‚geliebte Menschen‘ mit ‚ergreifenden persönlichen Geschichten‘, im zweiten Fall ‚Passagiere‘, ‚Reisende‘ oder ‚Menschen‘.

Der Politikwissenschaftler Robert Entman, der 1991 in einer vergleichenden Studie die unterschiedliche Darstellung der beiden Fälle in US-Medien herausarbeitete, resümierte, dass Medien im Falle des sowjetischen Angriffs ‚den moralischen Bankrott und die Schuld der Nation, die den Schuss abgefeuert hat, betonten, im zweiten Fall dagegen die Schuld klein redeten und die Komplexität von Militäroperationen betonten.‘

Quellen und links

Asymmetrie in der Berichterstattung vermeiden
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand