Ist die Obergrenze eine Obergrenze oder ein Richtwert? Eine aktuelle österreichische Spitzfindigkeit.

Österreichs Regierungsvertreter aus Staat und Ländern haben befunden: Mehr als 37.500 Menschen können in Österreich nicht um Asyl ansuchen dürfen und dürfen bei uns nicht um Asyl ansuchen können. Die Zahl 37.500 wird wahlweise als Obergrenze (eher zu hören von ÖVP-Seite) oder Richtwert (eher zu hören von SPÖ-Seite) bezeichnet. Es wird – auf Nachfrage gründlich arbeitender Medienleute – fallweise zugegeben, dass die Kompatibilität mit internationalem Recht (z. B. der Genfer Flüchtlingskonvention, die Österreich 1954 ratifiziert hat) noch zweifelhaft (ExpertInnen seien gerade dabei, dies zu prüfen) oder jedenfalls und selbstredend zu gewährleisten sei. Es kann die Frage, was mit dem Menschen 37.501, der frierend, hungernd, erschöpft an unseren Zaun (vulgo Tür mit Seitenteilen, copyright Bundeskanzler Werner Faymann ) klopft, geschieht, nicht immer schlüssig beantwortet werden.

Zur aktuellen Obergrenze-Richtwert-Debatte in der Alpenrepublik bringt 1-sicht die Zusammenfassung eines Kommentars von Karla Engelhard im Deutschlandfunk am 20.1.. Karla Engelhard hält die Festlegung einer Obergrenze für eine populistische Scheinlösung, die zudem die Stabilität der Balkanländer aufs Spiel setzt.

Der Kommentar zusammengefasst:

Bumerang statt Dominoeffekt

Kanzler Werner Faymann spricht ‚wienerisch unkonkret‘ von Richtwert, Notlösung, Plan B, um – wie Engelhard annimmt – seine deutsche Amtskollegin Kanzlerin Angelika Merkel nicht vor Augen zu führen, dass sie einen ihrer letzten Getreuen in der EU verloren hat. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner nennt die Obergrenze beim Namen. Das System, das Mitterlehner durch die Flüchtlinge überfordert sieht, könne, so Engelhard, nur die große Koalition aus SPÖ und ÖVP sein. Denn die Österreicherinnen und Österreicher sind noch nicht an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gekommen.

Engelhard erinnert an die Leistungen der Alpenrepublik im Jahr 1956, als russische Panzer in Ungarn einfuhren, Österreich noch kaum Strukturen und schon gar kein System hatte und es schaffte, 200.000 Menschen innerhalb weniger Woche aufzunehmen, von denen rund 70.000 geblieben sind. Heute zählt Österreich zu den reichsten und organisiertesten Staaten der Welt, da sollen 90.000 Menschen in einem Jahr ein Problem darstellen?

Es sei, so die Kommentatorin, keine Frage des Könnens sondern eine des Wollens. Denn seit Monaten helfen Freiwillige und verantwortungsbewusste Entscheidungsträger in den Kommunen – dem ‚Überforderungsmantra der Regierenden‘ zum Trotz. Diesen fehle es an Ehrlichkeit und Mut zuzugeben, dass es schnelle Lösungen nicht gibt. Die Festlegung von Obergrenzen und Fristen hält Engelhard für beschämende Politik auf dem Rücken der Schutzsuchenden. Aus dem von Österreich angestrebten Dominoeffekt werde ein Bumerang werden, denn die Zurückweisung von Schutzsuchenden an Österreichs Grenzen gefährde die Stabilität der Balkanländer. Dies sei gefährlich. Eine europäische Lösung ist ohne Alternative.

Wenn schon Obergrenzen, dann bitte sinnvolle

Auf nzz.at schreibt ein Redakteursteam seinen Obergrenzenwunschbrief in das weltweite Netz.

Für folgende 10 Dinge werden Obergrenzen eingefordert – eine Zusammenfassung:

    1. Ausgaben für Inserate aus öffentlicher Hand

Zeitungsinserate der öffentlichen Hand, so das nzz.at-Team, kennen in Österreich keine Grenzen. Dies belaste nicht nur die Budgets, sondern auch die Meinungsvielfalt in der österreichischen Medienlandschaft

2. Öffentliche Gebühren

Seit 2008, schreibt das nzz.at-Team unter Berufung auf Eurostat, seien die ‚administrativen Preise‘ um 20 Prozent gestiegen, stärker als in der Eurozone und stärker als die Konsumpreise.

3. OTS-Aussendungen aus Generalsekretariaten

Politische Parteien zahlen  viel Geld an die APA, um das verbreiten zu lassen, was sie sagen wollen – Gegenmeinung ausgeschlossen.

4. Verwaltungsebenen: 2

Zwar hat auch der Freistaat Bayern eine Vertretung in Brüssel und so, sagen die einen, ist es logisch, dass die ‚equivalente‘ Verwaltungseinheit in Österreich ebenfalls ein Büro in Brüssel hat. Nur, die Volkswirtschaft des Freistaats Bayern ist größer als jene von ganz Österreich.

5. Obdachlose

Die letzten offiziellen Zahlen sind aus 2006. Rund 37.000 Menschen waren damals im Rahmen der Wohnungslosenhilfe betreut. Dass nzz.at-Team geht davon aus, dass die Zahl innerhalb der letzten 10 Jahre angestiegen ist und plädiert unter anderem für aktuelle Erhebung, Festsetzung einer Obergrenze und Prävention.

6. Arbeitslose

Mit 10,6 Prozent hat Österreich derzeit die höchste Arbeitslosenquote der Zweiten Republik (475.435 waren im Dezember ohne Job). AMS-Chef Johannes Kopf proklamiert regelmäßig, was zu tun wäre: Mehr Geld für Bildung.

7. Haftungen

Haftungen seien ein mephistophelischer Pakt: Heute verursachen sie keine Kosten, irgendwann rächen sie sich. Länder bürgen mit Milliarden für ihre heimischen Banken (Hypo Alpe Adria), die Last tragen die SteuerzahlerInnen.

8. Prekäre Arbeitsverhältnisse

Viele – oft hochqualifizierte – Menschen hangeln sich von Praktikum zu Praktikum oder leben ihr Berufsleben als freie Dienstnehmer oder sogenannte Neue Selbstständige mit kaum rechtlicher Absicherung und ohne Anspruch auf Krankenstand und bezahlten Urlaub.

9. Exportlizenzen für Waffen in Krisengebiete

Österreichische Maschinengewehre oder Granaten sollten schon jetzt nicht in krisengebeutelten Regionen oder bei diktatorischen Regimes landen. Tun sie aber doch. Beamte aus 4 Ministerien sind zuständig für die Exportlizenzen, die Minister sollten eingreifen und dafür sorgen, dass die Obergrenzen für Waffenlieferungen in Krisengebiete bei null liegen.

10. Innenpolitische Nazivergleiche

Weder will man etwas zur angeblich ‚ordentlichen Beschäftigungspolitik‘ der Nazis ((Jörg Haider, damals Landeshauptmann in Kärnten) hören, noch die Bezeichnung der Antifa-Demonstranten als ‚Stiefeltruppen der SA‘ (Heinz-Christian Strache, FPÖ-Obmann). Gewünschte Obergrenze: Ein Nazivergleich pro Millenium.

Weitere Obergrenze gesucht?

Den Obergrenzenwünschen könnten 1-sichtigerweise noch einige hinzu gefügt werden. Wie wäre es mit einer Obergrenze für die Straßen der Stadt verstopfende Autos? Für Schneekanonen, die den Tourismusverantwortlichen scheinbar zu viele Schneekristalle in die Augen streuen, sodass diese keine Alternativen zum Schitourismus sehen?

Quellen und links

Den vollständigen Kommentar hören
Deutschlandfunk – Kommentar Karla Engelhard 20.1.2016

Genfer Flüchtlingskonvention

Genfer Flüchtlingskonvention – Unterzeichnerstaaten

Kanzler Faymanns Tür mit Seitenteilen – ORF

Zur Obergrenzenwunschliste von nzz.at (nzz.at-Abo erforderlich!)

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