Das Covid-19-Virus – kurz Corona, das die Welt derzeit lahm legt und unseren Alltag radikal verändert, hat sich mutmaßlich auf einem Wildtiermarkt in China die Spezies Homo sapiens sapiens als neuen Wirten auserkoren. Le Monde diplomatique macht sich in seiner Ausgabe vom 13.3.2020 auf die Spuren vergleichbarer Übergänge.
Kühe geben uns Milch. Und Masern.
Es ist nicht neu, dass tierische Mikroben zu menschlichen Krankheitserregern mutieren. In allen Phasen der Menschheitsgeschichte, wenn Lebensräume für Menschen geschaffen und somit den Tieren weggenommen wurden, wenn Tiere domestiziert wurden, passierte Derartiges. Masern und Tuberkulose verdanken wir den Kühen, Keuchhusten den Schweinen, die Grippe den Enten. Das war zur Zeit der neolithischen Revolution (ab 9500 vor unserer Zeitrechnung).
Während der kolonialen Expansion Europas hatten die Lentiviren im Kongo reichlich Gelegenheit, sich neben den Makaken auch den Menschen als Wirtswesen anzueignen. Aus dem Lentivirus wurde HIV. In Bangladesh errichteten Briten Reisfarmen in riesigen Mangrovenwäldern. Die einheimische Bevölkerung kam mit den im Brackwasser lebenden Bakterien in Kontakt. Wir nennen dieses Wasserbakterium heute Cholera. Auf sein Konto gehen bislang sieben Pandemien.
Die rascher werdende Zerstörung unserer Lebensräume macht uns zunehmend verwundbar durch Pandemien. Seit 1940 sind viele krankmachende Erreger in Regionen neu oder wieder aufgetaucht: HIV, Ebola in Westafrika, Zikavirus auf dem amerikanischen Kontinent, eine Vielzahl neuer Coronaviren. 60 % sind tierischen Ursprungs, davon 2/3 von Wildtieren.
Den Tieren schaden die Mikroben nicht. Die Tiere sind auch nicht schuld an den Pandemien. Die Abholzung der Wälder und die wachsende Urbanisierung öffnen den Mikroben Wege, den menschlichen Körper zu erreichen, sich diesem anzupassen und im schlechten Fall in tödliche Krankheitserreger zu verwandeln.
Die Fledermaus brachte Ebola.
Als Ursprung des Ebolavirus wurden verschiedene Fledermausarten identifiziert. Eine Untersuchung in 2017 zeigte: Ausbrüche des Virus in zentral- und westafrikanischen Gebieten waren dort häufig, wo kurz zuvor Wälder in großem Stil gerodet wurden. Die Fledermäuse flüchten in so einer Situation auf die Bäume in Gärten und Farmen. Menschen essen Früchte, die mit Fledermausspeichel bedeckt sind oder kommen in anderer Weise mit Fledermäusen in Kontakt. Jedenfalls hat das Virus, das für die Tiere harmlos ist, zahllose Gelegenheiten, auf die menschliche Population überzuspringen. Ähnlich verlief die Übertragung des Nipah-Virus in Malaysia und Bangladesch sowie des Marburg-Virus in Ostafrika.
Risikozone Wildtiermarkt und Schlachthof
Neben der Zerstörung der Lebensräume der Tiere spielen zwei weitere menschliche Tätigkeiten eine erhebliche Rolle dabei, das Risiko von Krankheitsausbrüchen zu erhöhen:
- der Handel mit lebendigen Tieren auf Märkten
- die Behandlung der Tiere vor dem Schlachten
So entstand Corona.
Auf Wildtiermärkten sitzen Tiere, die einander in der Natur nie begegnen, auf engem Raum nebeneinander. Wahrscheinlich die Hölle für die Tiere. Sicher das Paradies für Mikroben. Sie können von einem Wirt zum anderen wandern. So entstand 2002/03 das Coronavirus, das die Sars-Epidemie auslöste. So entstand 2019 möglicherweise Covid-19, ‚unser Corona‘, das die jetzige Pandemie auslöste.
Auch die Bedingen auf Schlachthöfen sind für die totgeweihten und als Nahrungsmittel für den Menschen vorgesehenen Tiere eine Peinigung, für die Mikroben ein Fest. Sie finden ideale Bedingungen vor für ihre Verwandlung zum Krankheitserreger. Dringen zum Beispiel Vogelgrippeviren von wildlebenden Wasservögeln in Geflügelmastbetriebe, mutieren sie und werden sehr viel gefährlicher als in freier Wildbahn. Dieser Vorgang ist so zuverlässig, dass er sich im Labor reproduzieren lässt.
Was tun?
Wissenschaftler von Predict, einem Programm der US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (USAID), identifizierten bereits mehr als 900 neuartige Viren, deren Entstehung damit zusammenhängt, dass immer mehr Regionen der Erde vom Menschen verändert werden.
Wenn wir Menschen Pandemien verhindern wollen, müssen wir
- die Lebensräume von Wildtieren schützen, damit die Mikroben nicht auf uns übertragen werden
- für eine engmaschige Überwachung der Milieus sorgen, in denen Tiermikroben besonders leicht zu Krankheitserregern werden (z.B. Schlachthöfe) und solche Mikroben eliminieren, die Zeichen der Anpassung an den menschlichen Körper zeigen.
Und vielleicht sollten jene Menschen, die vergleichsweise hohen Fleischkonsum verbuchen, denselben zu ihrem eigenen Wohl reduzieren.
Hoffentlich lernen wir von Corona.
Quellen und links
LE MONDE diplomatique, Woher kommt das Coronavirus?