Schon vom Parkplatz sieht man sie. Von jeder Stelle des 55-Seelen-Dorfes – mehr Landschaft als Ort – hier im Südosten Deutschlands sieht man sie. Jene Mauer, die Mödlareuth, knapp 300 Kilometer von Berlin entfernt, einst den Beinamen Little Berlin eintrug und jetzt Anziehungspunkt für Reisende ist, die an der jüngeren Geschichte Deutschlands und Europas interessiert sind.
Das Ende der Dorfgemeinschaft
Die lose Ansiedlung von Bauerngehöften gehört seit gut 200 Jahren zu verschiedenen Landesherren (Fürstentum Reuss und Königreich Bayern) und liegt seit dem Ende des 1. Weltkriegs auf thüringischem und bayrischem Boden diesseits und jenseits des schmalen Tannbachs. Das störte weder die Machthaber noch die Bauern.
Zum Verhängnis wurde dem kleinen Mödlareuth das bittere Ende der unrühmlichen Idee vom großdeutschen Reich. Thüringen wurde der russischen Einflusssphäre zugeteilt, Bayern der US-amerikanischen. Thüringen DDR, Bayern BRD. Mödlareuth zerrissen. Anfangs durfte der Tannbach, der nun zur Demarkationslinie geworden war, mit Passierschein überquert werden. In der Nachkriegslogik war dies auf Dauer zu gefährlich. Ab 1952 wurden Befestigungsanlagen errichtet. Dem einfachen Stacheldrahtzaun folgte der doppelreihige, diesem 1964 eine Wand aus Beton- und Holzelementen. Doch auch Blickkontakt zwischen den ‚Klassenfeinden‘ galt es zu verhindern. Der Bruder auf thüringischem Boden durfte es nicht wagen, in Richtung Gehöft seiner Schwester auf bayrischem Boden zu blicken. Also nahm man sich ein Beispiel an Berlin und errichtete 1966 – 5 Jahre nach dem Berliner Vorbild – auf thüringischem Boden eine Mauer. In Berlin stellte man sie direkt vor die Küchenfenster der BewohnerInnen, in Mödlareuth mitten in die Landschaft.
Bewaffnetes Wachpersonal patroullierte in Begleitung von Hunden, hatte auf Türmen alles von oben im Blick, achtete Tag und Nacht auf die Einhaltung der Ver- und Gebote, insbesondere des Gebotes, der Mauer fernzubleiben. Der Streifen vollkommen grasloser Erde war stets perfekt geeggt, nächtens vom Scheinwerferlicht erhellt und somit jederzeit einsatzbereit für das analoge Erfassen des Fußabdruckes von Personen, die der Mauer zu nahe kamen.
War es auf DDR-Seite mit Gefahr für Leib und Leben verbunden, sich der Mauer zu nähern, so war das 700 Meter lange Bauwerk auf der BRD-Seite Inszenierungsstätte für offizielle wie private Solidaritätskundgebungen mit den Landsleuten in der DDR.

Die Sperrmauer in Mödlareuth:
- errichtet 1966
- Länge: 700 Meter
- Höhe: 3,40 Meter
- außerhalb der eigentlichen Ortslage: Metallgitterzaun, an dem bis 1983 auch Selbstschussanlagen montiert waren
- abgetragen 1990
Das Ende der Mauer – doch nicht ganz
Nach der Revolution im Jahr 1989 sollte die Mauer wie ihr Berliner Vorbild fallen. Im Juni 1990 traten die Abrissbirnen ihren Dienst an. Doch ein Stück der Mauer samt Grenzanlage und Wachtürmen wurde den nachfolgenden Generationen als Mahnmal hinterlassen.
Als solches steht sie nun in der kleinen zerstreuten Ansiedlung und erinnert an den Wahnwitz von Ideologien, die das Trennende über das Gemeinsame stellen.
Das Ende der Geschichte? – Im deutsch-deutschen Museum
Das deutsch-deutsche Museum Mödlareuth widmet sich ganz der Geschichte des geteilten Deutschlands.
Im Erdgeschoß: eine Filmvorführung. Das Auditorium ist bis auf den letzten Platz besetzt. Die Atmosphäre ist unbehaglich, in den Mienen vermeint man Betroffenheit zu lesen. Mit reichlich Originalmaterial entführt der Film in die 1940er und 1950er Jahre. Er erzählt vom Bau der Mauer. Man erlebt geteiltes Leben und weint schließlich Tränen der Wiedervereinigung mit den Menschen in Mödlareuth des Jahre 1989.
Im ersten Stock: Zeitungsberichte, öffentliche Anweisungen, Ge- und Verbotsaushänge, Fotos. Sie vermitteln eine Vorstellung davon, wie die Teilung realisiert und über 40 Jahre lang aufrechterhalten wurde. Und wie schließlich die Bürgerinnen und Bürger revoltierten und eine neue Ordnung herbeiführten.
Das letzte Foto des Rundganges berührt tief. Als es Gegenwart war, markierte es eine Zäsur in der Geschichte Europas: Der österreichische Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn schneiden am 2. Mai 1989 den Grenzzaun zwischen Ungarn und Österreich durch. Es wurde ein ikonografisches Bild für das Fallen des Eisernen Vorhangs, für die Wiedervereinigung Europas. Der Text, dem es beigestellt ist, trägt die Überschrift ‚Das Ende der Geschichte?‘

Wieder im Freien schmeckt die Luft nach Sommer und Freiheit. Mödlareuths Mauer steht mahnend in der Wiese.

Quellen und links
Mödlareuth – wikipedia
Das geteilte Dorf am Ende der Welt, Welt, 25.1.2013
