Von Weihnachtschristen und Disco-Muslimen

Die häufig geäußerte Sorge, Europa würde aufgrund von Islamisierungstendenzen seinen Charakter, seine Werte verlieren, verdient genaueres Hinschauen auf die Religionszugehörigkeiten und Intensitäten der Religionsausübung. Religionswissenschafter stellen Folgendes fest: Eine genaue Zuordnung zu den Religionsgemeinschaften lässt sich allgemein nur schwer treffen und die Säkularisierung schreitet auch bei Muslimen voran.

Wie kann Religiosität gemessen werden?

Was heißt eigentlich Religionszugehörigkeit? Stefan Rink und Christoph Wagenseil vom Verein Remid, dem Religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienst versuchen sich im Deutschlandfunk (26.1.2018) an Antworten. Es sei bei Muslimen ähnlich wie bei anderen Religionsgemeinschaften: Eine nominelle Zahl werde als muslimisch geführt, ein gewisser Prozentsatz davon gehe jedoch nie in die Moschee, bete nicht 5 Mal täglich und nehme auch nicht am Ramadan teil.

Für die christlichen Religionen in Deutschland ist feststellbar: 47 Millionen Menschen werden als Christen (evangelisch, katholisch, orthodox) geführt. Doch nur jeder 10. Katholik und ein noch geringerer Anteil der Evangelischen gehe regelmäßig in den Gottesdienst. Weihnachtschristen oder U-Boot-Christen werden diese Menschen auch genannt.

Wer entscheidet, wer Christ ist und wer nicht? Dieselbe Frage muss im Falle der muslimischen Religionen gestellt werden, wo das Pendant zum Weihnachtschristen als Disco-Muslim oder Kulturmuslim bezeichnet wird, der im Gegensatz zum konfessionsgebundenen Muslim nicht religiös ist.

Religionswissenschaftler unterscheiden daher bei Religionsgemeinschaften in tatsächliche Mitglieder und das weitere Umfeld. Religionsgemeinschaften selbst geben gerne höhere Mitgliederzahlen an, denn diese verleihen Macht und Einfluss: den katholischen und evangelischen Kirchen in Deutschland mit über 20 Millionen Mitgliedern zum Beispiel Schulunterricht, Kirchensteuer, Rundfunksendungen.

Ist mit einer Islamisierung Europas zu rechnen?

Der Religionswissenschaftler Blume geht nicht davon aus, dass Europa eine Islamisierung erfährt (Deutschlandfunk 26.1.2018). Er sieht zwei Entwicklungen:

  1. Die massive Säkularisierung der Muslime
  2. Mit der Säkularisierung einhergehend der Geburtenrückgang – nicht nur in Europa sondern auch in der Türkei und im Iran sind die Geburtenraten auf unter 2 gefallen.

Das Bild von den kinderreichen muslimischen Familien entstehe dadurch, dass kinderreiche Familien mehr im Straßenbild, in der Nachbarschaft auffallen, als kleinere Familien. Zudem sei Kinderreichtum ein Merkmal für die jeweils strenggläubigeren Vertreterinnen und Vertreter der Religionen. In den USA zum Beispiel sind die Amish, eine christliche Gemeinschaft, die kinderreichste Gruppe. Bei der jüdischen Bevölkerung haben die ultraorthodoxen die meisten Kinder.

Zahlen für Deutschland und Österreich

Deutschland:

  • 47 Millionen Christen (evangelisch, katholisch, orthodox)
  • 4,5 Millionen Muslime

(laut Deutschlandfunk)

Österreich

Für Österreich weist die Statistik Austria Zahlen aus 2001 aus. Seither wird die Religionszugehörigkeit nicht mehr lückenlos erfasst. Die Tageszeitung ‚Die Presse‘ veröffentlicht am  4.8.2017 Ergebnisse einer Studie des Vienna Institute of Demography der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, wonach in Österreich 700.000 Muslime leben. Dies entspricht acht Prozent der österreichischen Bevölkerung (seit 2001 von 4 % angestiegen). Stärkste Gruppe ist dieser Studie zufolge die römisch-katholische mit 5,16 Millionen Mitglieder (seit 2001 von 75 auf 64 % gesunken). Die am stärksten wachsende Gruppe ist jene der Konfessionslosen (seit 2001 von 12 auf 17 % gestiegen).

Quellen und links

Zahl der Muslime in Deutschland, Deutschlandfunk 26.1.2018:

Lasst uns wegkommen von Angst und Mythen, Deutschlandfunk 26.1.2018:

Religion in Österreich, Die Presse 4.8.2017

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