Was zeichnet eine offene Gesellschaft aus?

„Die Attentate haben gezeigt, wie verwundbar die offene Gesellschaft ist, haben aber auch bewirkt, dass wir uns neu besinnen.“ (Bundespräsident Joachim Gauck nach den Anschlägen auf die Satirezeitung Charlie Hebdo.)

„Und deswegen müssen wir sagen, wir werden diese offene Gesellschaft verteidigen gegen die Terroristen.“ (Thomas Oppermann, Fraktionschef der SPD-Bundestagsfraktion über islamistischen Terror.)

„Heute können wir zeigen, dass eine wohlhabende Gesellschaft  versucht zu helfen, wo sie helfen kann. Und dass wir gemeinsam unsere offene Gesellschaft verteidigen, der wir alle miteinander so viel zu verdanken haben.“ (Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen, zur Flüchtlingskrise.)

Mit diesen Zitaten leitet Ingeborg Breuer ihren Beitrag Die Renaissance der „offenen Gesellschaft“ – Bewährungsprobe durch Terror und Flucht ein (Deutschlandfunk 17.12.2015).

Wer oder was ist die Gesellschaft?

In der Soziologie und den anthropologischen Wissenschaften meint man laut Wikipedia damit

eine durch unterschiedliche Merkmale zusammengefasste und abgegrenzte Anzahl von Personen, die als sozial Handelnde (Akteure) miteinander verknüpft leben und direkt oder indirekt sozial interagieren. Gesellschaft bezieht sich sowohl auf die Menschheit als ganze (gegenüber Tieren und Pflanzen), als auch auf bestimmte Gruppen von Menschen, beispielsweise auf ein Volk oder eine Ethnie.

Der Begriff ‚offene Gesellschaft‘ geht auf Karl Popper zurück, der ihn in seinem Werk ‚Die offene Gesellschaft und ihre Feinde‘, erschienen 1945, prägte. Die offene Gesellschaft steht demgemäß  sowohl der Laissez-Faire-Gesellschaft als auch der totalitären gegenüber und ist eng mit der Staatsform der Demokratie verbunden. Popper sieht als ihr Ziel ‚die kritischen Fähigkeiten des Menschen‘ freizusetzen. (Wikipedia)

Popper in einem Interview von 1974: „All den großen Propheten zu misstrauen, die eine Patentlösung in der Tasche haben und sagen: Wenn ihr mir nur volle Gewalt gebt, dann werd ich euch in den Himmel führen. Die Antwort darauf ist, wir geben niemandem volle Gewalt über uns, wir wollen, dass die Gewalt auf ein Minimum reduziert wird.“  …. Der Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen, produziere stets die Hölle, so Popper. Und die offene Gesellschaft hat erkannt, dass dieser „Traum vom Himmel sich auf Erden nicht verwirklichen“ lässt.  … Weil sie keinen Heilsplan hat, gehört das Experimentieren zur offenen Gesellschaft hinzu. Die Entwicklung, die sie nimmt, führt nach Popper „ins Unbekannte, ins Ungewisse, ins Unsichere“. Und deshalb gehöre zu ihre eine ungemeine Innovationsbereitschaft und Kreativität.  … „Die offene Gesellschaft ist nicht nur eine ungemein kreativitätsermöglichende, sondern sogar kreativitätsbedürftige Gesellschaft. Sie ist deswegen notorisch innovativ und häutet sich permanent. Die offene Gesellschaft muss immer kreativer sein, weil sie bestimmte Nachteile an Sinnvorgaben in Kauf nimmt. Sie hat auf diese Weise eine sehr hohe Flexibilität. Dem stehen geschlossene Gesellschaften gegenüber, die infolge dieser Geschlossenheit nicht die Innovativität aufbringen, die eigentlich im Prozess der Modernisierung permanent zurückfallen.“  … Das andere, das Fremde gehört deshalb zu den offenen Gesellschaften hinzu. Es ist ihr Lebenselixier, weil es der Anstoß für sie ist, sich immer wieder neu zu erfinden und nicht in Behäbigkeit zu erstarren. (Deutschlandfunk 17.12.2015)

Professor Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität in Berlin, hält den Umgang mit den nach Europa kommenden Flüchtlingen für eine Bewährungsprobe für die offene Gesellschaft.

Würde sie ihre Grenzen schließen, wäre das eine zivilisatorische Unreife, … Das Fremde als Chance zu verstehen und es in das Eigene zu integrieren, gehört zum Selbstverständnis der offenen Gesellschaft.  … Daraus folgt für Herfried Münkler eine klare politische Konsequenz: Ohne offene Türen keine offene Gesellschaft.

„Die offene Gesellschaft kennt keine Obergrenze. Sobald sie eine Obergrenze hat, ist sie ja eine gedeckelte Gesellschaft. Gewissermaßen geschlossen light.“ (Deutschlandfunk 17.12.2015)

Quellen und links

Die Renaissance der „offenen Gesellschaft“ Deutschlandfunk 17.12.2015

Begriffe:
Wikipedia (Gesellsch./soziologisch)

Wikipedia (offene Gesellsch.)

Sir Karl Popper – Wikipedia

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