Burkini-Verbot – eine überspannt wirkende Debatte

im Spannungsfeld zwischen Liberalismus, Angst, Religionsfreiheit und Frauenrechten.

Deutsche und internationale Presseschau des Deutschlandfunk.de vom 27. August 2016 geben einen guten Überblick über die Vielfalt an Meinungen im Zusammenhang mit dem Burkini-Verbot in einigen französischen Städten:

„Wie nennt man das eigentlich, wenn bewaffnete Typen eine Frau zwingen, ihre Klamotten auszuziehen. Vorbereitung einer Vergewaltigung? Nötigung? Öffentliche Demütigung? In Frankreich nennt man das ‚Polizeieinsatz‘. An einem Strand von Nizza haben drei Polizisten eine Frau gezwungen, Teile ihrer Kleidung abzulegen. Sie hatten die Macht des Staates hinter sich, die Stadt Nizza mit ihrem Verbot und den französischen Premierminister, der sagte, der Burkini sei ein Symbol einer ‚Gegengesellschaft, die auf Versklavung der Frau gründet‘. Knallharter Schutz vor Versklavung auch gegen den Willen der Schutzbefohlenen. Die Muselmanin, das rückständige Weib, wusste noch nie, was gut für sie ist“. (TAGESZEITUNG).

„Na prima. Französische Kommunalpolitiker und Polizisten haben islamistischen Propagandaplattformen weltweit einen PR-Coup frei Haus geliefert: Was illustriert die angebliche Demütigung sämtlicher Muslime im Westen anschaulicher als jene Bildsequenz aus Nizza, in der eine muslimische Frau am Strand von Beamten dazu gebracht wird, ihr kapuzenartiges Oberteil abzulegen?“ (KÖLNISCHE RUNDSCHAU)

„Warum soll die Bedeckung des Körpers durch weit geschnittene Schwimmanzüge islamischer Frauen verboten sein, die Bedeckung des Körpers durch eng anliegende Neopren-Anzüge westlicher Kite-Surferinnen aber nicht? Eine solche Debatte driftet in Richtung Absurdistan.“ (MÄRKISCHE ALLGEMEINE)

„Schön ist er nicht, der Burkini – der Ganzkörperbadeanzug für Frauen, der nur Gesicht, Unterarme und Füße ausspart. Aber schön ist der korpulente Mitsechziger im Stringtanga auch nicht – jedenfalls nach gängigen ästhetischen Vorstellungen. Doch darf eine freie Gesellschaft einfach verbieten, was nicht gefällt?“ (WESTFALEN-BLATT)

„Auch eine liberale Gesellschaft muss es nicht hinnehmen, dass unerkennbare Gestalten durch Einkaufszentren schlendern oder sich in Straßenbahnen setzen, egal ob es um Leute unter einer Burka geht, mit Motorradhelmen oder Clownsmasken. Ein Eingriff bedeutet hier keine Diskriminierung entlang religiöser Trennlinien, sondern nur die Durchsetzung der allgemeinen Sitte.“ (HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG)

„Gegen das Geschrei über den drohenden Zerfall Frankreichs, wider das Gezeter über den vermeintlichen Untergang des Abendlandes hat sich die Stimme der Vernunft durchgesetzt.“ (SÜDDEUTSCHE ZEITUNG – bezogen auf das Grundsatzurteil des Obersten Verwaltungsgerichtes Frankreichs, mit dem das Burkini-Verbot für unrechtmäßig erklärt wurde)

„Ein Funke der Vernunft war das in einem erschreckenden emotionalen Dunkel.“ (BERLINER ZEITUNG – bezogen auf das Grundsatzurteil des Obersten Verwaltungsgerichtes Frankreichs, mit dem das Burkini-Verbot für unrechtmäßig erklärt wurde)

„Die Burkini-Verbote an französischen Stränden waren eine Farce. Nur gut, dass dieser Bekleidungs-Dschihad nun gerichtlich gestoppt wurde. Die Ressentiments freilich, die zu solchen fundamentalistischen Eingriffen in die Grundrechte geführt hatten, sind virulent. Der Laizismus wird zum Instrument der Diskriminierung. Was war zuerst da, die Abschottung von Muslimen oder ihre Stigmatisierung?“ (DER TAGESSPIEGEL – bezogen auf das Grundsatzurteil des Obersten Verwaltungsgerichtes Frankreichs, mit dem das Burkini-Verbot für unrechtmäßig erklärt wurde)

„Passt Euch an! Benehmt Euch wie wir! Zieht Euch an wie wir! …….. Und wenn die Befehle nicht unmittelbar fruchten, bist der Ruf nach Gesetzen nicht weit: Minarette verbieten! Integrationspflicht! Wohnsitzauflage! Doppelpass verbieten! Burka verbieten! Diese Haltung schiebt das Problem der Integration, das eines der ganzen Gesellschaft ist, einseitig den Migrantinnen und Migranten zu.“ (NEUE WESTFÄLISCHE)

Auch aus Sicht der RHEINISCHEN POST wird die Debatte zu einseitig geführt: „Die klare Abgrenzung der Muslime vom Rest der Gesellschaft ist auch Ergebnis ihrer misslungenen Integration. Die Nachfahren der nordafrikanischen Einwanderer sind meist Bürger zweiter Klasse geblieben. Um die Abgrenzung noch weiter zu treiben, fordern Konservative und Rechtspopulisten nun gemeinsam ein gesetzliches Burkini-Verbot.“ (RHEINISCHE POST)

Internationale Medien zum Burkini-Verbot in Frankreich bzw. dessen höchstgerichtliche Aufhebung

„Das Gesetz und der gesunde Menschenverstand haben gesiegt. Auch wenn einige Bürgermeister in anderen Kommunen an ihren Burkini-Verboten festhalten wollen, auch sie werden aufgehoben werden, wenn ihr Fall vor den Staatsrat kommt. Sicherheitskräfte müssen an den Stränden nicht mehr Badeanzug-Polizei spielen. Das Urteil ändert nichts daran, dass man bestimmte islamische Kleidung als Zeichen einer archaischen Interpretation des Islams sehen kann. Doch der Staatsrat erinnert daran, dass die öffentlichen Freiheiten in einer Republik wie Frankreich respektiert werden müssen.“ (LIBÉRATION, Paris)

„Wie kann es sein, dass ausgerechnet in Cannes – am selben Strand, an dem 1953 Brigitte Bardot so publikumswirksam in einem Bikini posierte -, dass dort Frauen erzählt werden darf, was sie tragen können und was nicht?“ …. „Nizza ist eine Stadt, die immer noch traumatisiert ist von dem Terrorangriff im Juli und in der es Anzeichen für ethnische Spannungen gibt. Es ist möglich, dass der dortige Bürgermeister begründete Sorge hatte, dass rassistische Menschen eine Frau im Burkini angreifen könnten. Natürlich muss man dazu sagen, dass es die Aufgabe der Polizei ist, die öffentliche Ordnung zu wahren, nicht der Frauen und ihrer Kleiderwahl. Die Entscheidung des Gerichts wird hoffentlich einer aufgewühlten Nation ein bisschen Raum zum Atmen verschaffen.“ (GUARDIAN, London)

„Ein Sieg der Gerechtigkeit und der individuellen Freiheit“ … „Das Verbot von Burkinis wäre der größte Dienst gewesen, den Frankreich dem Islamischen Staat und Al-Kaida hätte erweisen können. Es hätte in den muslimischen Gemeinden die Saat des Hasses gelegt, die Kluft zwischen den Muslimen und der übrigen Bevölkerung vergrößert und so die Rekrutierungsarbeit dieser Gruppen erleichtert. All diejenigen, die die Muslime in Frankreich auffordern, Gesetze und Kultur des Landes zu respektieren und sich dabei noch päpstlicher als der Papst geben, sollten sich nun schämen. Mit dem Entschluss, das Verbot aufzuheben, hat Frankreich sein Gesicht gerettet.“ (RAI AL-YOUM, London).

„Der Versuch, Terror mit Bekleidungsvorschriften zu verhindern, ist zum Scheitern verurteilt. Trotzdem versucht man es in Frankreich immer wieder. Das lokale Burkini-Verbot im südfranzösischen Villeneuve-Loubet hat weltweit für Schlagzeilen gesorgt, nachdem Polizisten eine Frau am Strand zwangen, sich auszuziehen. Natürlich steht hinter dem Verbot der schreckliche Anschlag in Nizza, ebenso der Terror in Paris. Aber Frankreichs Politiker rüsten sich für den Wahlkampf, und da ist kein Argument absurd genug – es gibt wohl kaum ein Kleidungsstück, das so ungeeignet ist, um Bomben zu verstecken, wie ein Burkini.“ (UPSALA NYA TIDNING, Uppsala)

„Das Burkini-Verbot und wie es durchgesetzt wurde, erscheint vielen Amerikanern barbarisch. Zwischen all dem Ts-Ts sollte man sich aber daran erinnern, dass die Gesetze in Frankreich so manchem in den USA nicht so unähnlich sind. Muslime werden darüber hinaus im öffentlichen wie im privaten Raum diskriminiert. In der Demokraten-Hochburg Massachusetts, haben Bewohner verhindert, dass eine marode Farm in einen islamischen Friedhof umgewandelt wird. Hintergrund war die zweifelhafte Theorie, dass muslimische Körper eine besondere Bedrohung für die Gesundheit darstellten. Gleichzeitig fordert die Leitfigur von Amerikas anderer politischer Partei ein Einreiseverbot für Muslime. Während wir über den Atlantik schielen und über den säkularen Sexismus der Franzosen spotten, sollten wir uns daran erinnern: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ (USA TODAY, Arlington)

Quellen und links

Deutschlandfunk

Tageszeitung

Kölnische Rundschau

Märkische Allgemeine

Westfalen-Blatt

Hannoversche Allgemeine Zeitung

Süddeutsche Zeitung

Berliner Zeitung

Der Tagesspiegel

Neue Westfälische

Rheinische Post

Liberation

Guardian

Rai al-youm

Upsala nya tidning

USA Today

Über die offene Gesellschaft auf 1-Sicht

1-sicht findet: Lesen bildet.
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand