Populismus gefährdet die Demokratie

Der Präsident des deutschen Bundesverfassungsgerichtes, Professor Dr. Voßkuhle, hielt am 16. November eine Rede, die in der Frankfurter Allgemeine am 23.11.2017 unter dem Titel „Ein Populist ist ein Gegner der Demokratie“ gekürzt wieder gegeben wurde.

Voßkuhle, auch Direktor des Instituts für Staatswissenschaften und Rechtsphilosophie der Universität Freiburg, zeigt auf, warum Populismus gefährlich ist für Demokratien und wie ihm zu begegnen sei.

Was ist und was will Populismus?

Populismus ist keine stringente Ideologie wie etwa Kommunismus oder Liberalismus. Es fehlt an gesellschaftstheoretischem Substrat und an konkreten politischen Zielen. Die inhaltliche Ausrichtung ist beliebig. Populismus ist lediglich eine bestimmte Strategie, politische Herrschaft zu erwerben oder zu erhalten. Dazu bedienen PopulistInnen sich der Vorstellung des moralisch reinen Volkes, das unmoralischen, korrupten, parasitären Eliten gegenüberstehe (Jan-Werner Müller). Daraus leiten sie einen Alleinvertretungsanspruch ab, das heißt, sie nehmen für sich in Anspruch, die einzigen zu sein, die den Willen des Volkes erkannt haben und folglich das Volk vertreten können.

Dies ist ein antipluralistischer und damit antidemokratischer Ansatz, von dem ausgehend 5 Widersprüche zwischen Demokratie und Populismus fest gemacht werden können.

1. Die Wahrheit

In Bezug auf normative Fragen gibt es keine absolute, immer gültige ‚Wahrheit‘. Dies ist ein zentrales Begründungselement demokratischer Herrschaftsform. Populismus hingegen begründet seinen Herrschaftsanspruch auf den alleinigen Besitz der ‚Wahrheit‘. Demokratien sichern allen Bürgern gleiche und freie Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten zu. Das Mehrheitsprinzip gewährleistet, dass eine möglichst große Zahl an Menschen gemäß ihren Vorstellung über das Zusammenleben leben kann. Die Minderheiten verhalten sich der ordnungsgemäß getroffenen Mehrheitsentscheidung gegenüber loyal. Sie sind politisch anerkannt und haben die Chance, selbst zur Mehrheit zu werden.

2. Das homogene Volk

Das Bild der PopulistInnen vom homogenen Volk lässt Widerspruch, lässt Opposition per se illegitim sein – ob parlamentarisch, außerparlamentarisch, ob in Demonstrationen oder durch JournalistInnen zum Ausdruck gebracht. Vorsicht ist geboten, wenn Bürgerinnen und Bürger die Meinung vertreten, sie seien sich im Prinzip einig, doch die politischen VertreterInnen würden eigene Interessen verfolgen. Auch dies ist eine Form der Homogenitätsthese, die durch ‚Filterblasen‘ und ‚Echokammern‘ in den digitalen Medien, in denen das eigene Weltbild verstärkt und andere Weltbilder vom Algorithmus nicht angeboten werden, befeuert wird.

3. Das ganze Volk

Populistinnen und Populisten nehmen für sich in Anspruch das ganze Volk zu vertreten – zumindest jene Teile, die in ihrem Sinn das ganze Volk darstellen. Daher heißen ihre Gruppierungen nicht unbedingt Partei, wo ja das partielle im Namen steckt, sondern zum Beispiel ‚Bewegung‘, ‚Front‘. Wie nach außen besteht auch innerhalb der populistischen Gruppierung keine Pluralität, sondern ist eine Führungsfigur im Zentrum. Legitimation wird durch akklamationshafte Zustimmung erlangt. Angeblich um der Volksherrschaft willen etablieren sich auf diese Weise antiparlamentarische Regierungsstile, die als ‚direkte Repräsentation‘ bezeichnet werden.

4. Der einheitliche Volkswille

Der Grundannahme folgend, dass ein einheitlicher Volkswille zu jeder Zeit besteht und erkennbar ist, behaupten PopulistInnen, Abgeordnete müssen stets diesem Willen folgen. Das aber widerspricht einem Grundprinzip der repräsentativen Demokratie – dem freien Mandat, welches bedeutet, dass die Abgeordneten bei ihrer Tätigkeit an keinen Auftrag gebunden sind (www.parlament.gv.at). Die populistische Idee des auftragsgebundenen Politikers führt zur Desavouierung des Parlaments als Institution der Vermittlung und Ort des Ausgleichs.

5. Opposition als feindlicher Akt

Populismus dient nicht allein der Demagogie sondern zielt auf die Zersetzung demokratischer Institutionen ab. Oppositionelles Verhalten wird geächtet, Kontrolle und Widerrede werden als gegen das Volk gerichtete, feindliche Akte denunziert und bekämpft. Letztlich wird der populistische Staat mit der Begründung autoritär, dass nur so der wahre Wille des Volkes vollstreckt werden könne. Nicht umsonst sind in starken Demokratien Meinungs-, Presse-, Rundfunks-, Informations- und Versammlungsfreiheit unentbehrliche und geschützte Funktionselemente.

Wie soll mit Populismus umgegangen werden?

  1. Demokratie lebt von leidenschaftlicher Auseinandersetzung, die auch prägnante Zuspitzungen braucht und kraftvolle Rhetorik verträgt. Stets wird die Grenze zwischen lebhafter Diskussion und Verrohung politischer Sitten umstritten sein. Eindeutige rechtliche Grenzüberschreitungen müssen jedoch konsequent von den staatlichen Institutionen, den unabhängigen Gerichten sanktioniert werden. Wo diese bereits durch populistische Regierungen korrumpiert oder vereinnahmt sind, haben die Europäische Union und die Völkerrechtsgemeinschaft zu greifen.
  2. Auch in als heikel geltenden Politikfeldern ist beständige argumentative Auseinandersetzung gefordert. Demokratische Parteien müssen Handlungsoptionen aufzeigen und von soziologischen Großdeutungen wie ‚Globalisierungsverlierer‘ oder kollektiver Psychologisierung wie ‚Wutbürger‘ Abstand nehmen. Diese Pathologisierung scheint fragwürdig und unterstützt zudem den antielitären Affekt der PopulistInnen. Demokratische Parteien sind zudem in der Pflicht herauszuarbeiten, dass populistische Forderungen nicht dem Interesse aller BürgerInnen entsprechen.
  3. Die Protagonistinnen und Protagonisten populistischer Strömungen sind in den demokratischen Diskurs einzubinden. Geschieht dies nicht, befinden sich demokratische Parteien in einem Selbstwiderspruch, weil sie implizit ausdrücken, dass nur sie die BürgerInnen vertreten. Außerdem blieb die Strategie des Ausschließens bislang erfolglos, nicht zuletzt, weil PopulistInnen sich als ‚Outlaws‘ inszenieren und Sympathien gewinnen können und die Saga von ‚Wir, das Volk gegen die Eliten‘ Nahrung erhält.

Quellen und links

Frankfurter Allgemeine, 23.11.2017, „Ein Populist ist ein Gegner der Demokratie“

Parlament erklärt

1-sicht vom 22. September 2016, Populisten und ihr demagogisches Panorama

1-sicht vom 29. September 2016, Wie mit rechtspopulistischen Parteien umgehen?

Leseempfehlung auf 1-sicht vom September 2016, Was ist Populismus? Ein Essay von Ian-Werner Müller

Wider den Populismus
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand