Populismus gefährdet die Demokratie

Der Präsident des deutschen Bundesverfassungsgerichtes, Professor Dr. Voßkuhle, hielt am 16. November eine Rede, die in der Frankfurter Allgemeine am 23.11.2017 unter dem Titel „Ein Populist ist ein Gegner der Demokratie“ gekürzt wieder gegeben wurde.

Voßkuhle, auch Direktor des Instituts für Staatswissenschaften und Rechtsphilosophie der Universität Freiburg, zeigt auf, warum Populismus gefährlich ist für Demokratien und wie ihm zu begegnen sei.

Was ist und was will Populismus?

Populismus ist keine stringente Ideologie wie etwa Kommunismus oder Liberalismus. Es fehlt an gesellschaftstheoretischem Substrat und an konkreten politischen Zielen. Die inhaltliche Ausrichtung ist beliebig. Populismus ist lediglich eine bestimmte Strategie, politische Herrschaft zu erwerben oder zu erhalten. Dazu bedienen PopulistInnen sich der Vorstellung des moralisch reinen Volkes, das unmoralischen, korrupten, parasitären Eliten gegenüberstehe (Jan-Werner Müller). Daraus leiten sie einen Alleinvertretungsanspruch ab, das heißt, sie nehmen für sich in Anspruch, die einzigen zu sein, die den Willen des Volkes erkannt haben und folglich das Volk vertreten können.

Dies ist ein antipluralistischer und damit antidemokratischer Ansatz, von dem ausgehend 5 Widersprüche zwischen Demokratie und Populismus fest gemacht werden können.

1. Die Wahrheit

In Bezug auf normative Fragen gibt es keine absolute, immer gültige ‚Wahrheit‘. Dies ist ein zentrales Begründungselement demokratischer Herrschaftsform. Populismus hingegen begründet seinen Herrschaftsanspruch auf den alleinigen Besitz der ‚Wahrheit‘. Demokratien sichern allen Bürgern gleiche und freie Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten zu. Das Mehrheitsprinzip gewährleistet, dass eine möglichst große Zahl an Menschen gemäß ihren Vorstellung über das Zusammenleben leben kann. Die Minderheiten verhalten sich der ordnungsgemäß getroffenen Mehrheitsentscheidung gegenüber loyal. Sie sind politisch anerkannt und haben die Chance, selbst zur Mehrheit zu werden.

2. Das homogene Volk

Das Bild der PopulistInnen vom homogenen Volk lässt Widerspruch, lässt Opposition per se illegitim sein – ob parlamentarisch, außerparlamentarisch, ob in Demonstrationen oder durch JournalistInnen zum Ausdruck gebracht. Vorsicht ist geboten, wenn Bürgerinnen und Bürger die Meinung vertreten, sie seien sich im Prinzip einig, doch die politischen VertreterInnen würden eigene Interessen verfolgen. Auch dies ist eine Form der Homogenitätsthese, die durch ‚Filterblasen‘ und ‚Echokammern‘ in den digitalen Medien, in denen das eigene Weltbild verstärkt und andere Weltbilder vom Algorithmus nicht angeboten werden, befeuert wird.

3. Das ganze Volk

Populistinnen und Populisten nehmen für sich in Anspruch das ganze Volk zu vertreten – zumindest jene Teile, die in ihrem Sinn das ganze Volk darstellen. Daher heißen ihre Gruppierungen nicht unbedingt Partei, wo ja das partielle im Namen steckt, sondern zum Beispiel ‚Bewegung‘, ‚Front‘. Wie nach außen besteht auch innerhalb der populistischen Gruppierung keine Pluralität, sondern ist eine Führungsfigur im Zentrum. Legitimation wird durch akklamationshafte Zustimmung erlangt. Angeblich um der Volksherrschaft willen etablieren sich auf diese Weise antiparlamentarische Regierungsstile, die als ‚direkte Repräsentation‘ bezeichnet werden.

4. Der einheitliche Volkswille

Der Grundannahme folgend, dass ein einheitlicher Volkswille zu jeder Zeit besteht und erkennbar ist, behaupten PopulistInnen, Abgeordnete müssen stets diesem Willen folgen. Das aber widerspricht einem Grundprinzip der repräsentativen Demokratie – dem freien Mandat, welches bedeutet, dass die Abgeordneten bei ihrer Tätigkeit an keinen Auftrag gebunden sind (www.parlament.gv.at). Die populistische Idee des auftragsgebundenen Politikers führt zur Desavouierung des Parlaments als Institution der Vermittlung und Ort des Ausgleichs.

5. Opposition als feindlicher Akt

Populismus dient nicht allein der Demagogie sondern zielt auf die Zersetzung demokratischer Institutionen ab. Oppositionelles Verhalten wird geächtet, Kontrolle und Widerrede werden als gegen das Volk gerichtete, feindliche Akte denunziert und bekämpft. Letztlich wird der populistische Staat mit der Begründung autoritär, dass nur so der wahre Wille des Volkes vollstreckt werden könne. Nicht umsonst sind in starken Demokratien Meinungs-, Presse-, Rundfunks-, Informations- und Versammlungsfreiheit unentbehrliche und geschützte Funktionselemente.

Wie soll mit Populismus umgegangen werden?

  1. Demokratie lebt von leidenschaftlicher Auseinandersetzung, die auch prägnante Zuspitzungen braucht und kraftvolle Rhetorik verträgt. Stets wird die Grenze zwischen lebhafter Diskussion und Verrohung politischer Sitten umstritten sein. Eindeutige rechtliche Grenzüberschreitungen müssen jedoch konsequent von den staatlichen Institutionen, den unabhängigen Gerichten sanktioniert werden. Wo diese bereits durch populistische Regierungen korrumpiert oder vereinnahmt sind, haben die Europäische Union und die Völkerrechtsgemeinschaft zu greifen.
  2. Auch in als heikel geltenden Politikfeldern ist beständige argumentative Auseinandersetzung gefordert. Demokratische Parteien müssen Handlungsoptionen aufzeigen und von soziologischen Großdeutungen wie ‚Globalisierungsverlierer‘ oder kollektiver Psychologisierung wie ‚Wutbürger‘ Abstand nehmen. Diese Pathologisierung scheint fragwürdig und unterstützt zudem den antielitären Affekt der PopulistInnen. Demokratische Parteien sind zudem in der Pflicht herauszuarbeiten, dass populistische Forderungen nicht dem Interesse aller BürgerInnen entsprechen.
  3. Die Protagonistinnen und Protagonisten populistischer Strömungen sind in den demokratischen Diskurs einzubinden. Geschieht dies nicht, befinden sich demokratische Parteien in einem Selbstwiderspruch, weil sie implizit ausdrücken, dass nur sie die BürgerInnen vertreten. Außerdem blieb die Strategie des Ausschließens bislang erfolglos, nicht zuletzt, weil PopulistInnen sich als ‚Outlaws‘ inszenieren und Sympathien gewinnen können und die Saga von ‚Wir, das Volk gegen die Eliten‘ Nahrung erhält.

Quellen und links

Frankfurter Allgemeine, 23.11.2017, „Ein Populist ist ein Gegner der Demokratie“

Parlament erklärt

1-sicht vom 22. September 2016, Populisten und ihr demagogisches Panorama

1-sicht vom 29. September 2016, Wie mit rechtspopulistischen Parteien umgehen?

Leseempfehlung auf 1-sicht vom September 2016, Was ist Populismus? Ein Essay von Ian-Werner Müller

Wider den Populismus
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Das Destruktive in der Normalität

So übertitelt Wilhelm Heitmeyer, der ehemalige Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, seinen Artikel in der Online-Ausgabe von der Freitag vom 13.10.2016, in dem er die sukzessive Entwicklung zu erhöhter Gewaltbereitschaft in Teilen der Gesellschaft analysiert: Das Destruktive in der Normalität

Die allerjüngste Vergangenheit Deutschlands war an geografisch weit auseinanderliegenden Orten mit unterschiedlichen Gewaltausbrüchen konfrontiert:

  • Brandanschlag auf Dresdner Moschee und Familie des Imam
  • Gewalt gegen den Bürgermeister eines kleinen Ortes
  • Drohungen gegen eine Lehrerin für Islamunterricht

Für den Konflikt- und Gewaltforscher sind diese Angriffe und Bedrohungen, die sich gegen sozial schwache Gruppen oder gegen jene, die sich für sie einsetzen, richten, die vorhersehbaren Folgen des jahrzehntelangen Eskalationsprozesses, mit dem Ziel, die Eliten in Politik, Journalismus und Zivilgesellschaft aufzustören. Heitmeyer spricht von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Er beschreibt 2 Arten von Mustern der Eskalation.

1. Prozess der Eskalation

Der Eskalationsprozess verläuft in 4 Stufen:

1.1. Provokationsgewinne, auf die die Medien reagieren.
Diese Reaktion bedeutet zusätzliche Resonanz für die Gewaltbereiten. Medien machen dabei mit, weil die Steigerung von Resonanz, das Aufschaukeln von Reaktion und Gegenreaktion deren eigener Verkaufslogik entspricht. Populistische Stimmungsmacher bieten daher sorgfältig abgewogen nicht ‚mehr vom Gleichen‘ – darauf würden Medien nicht reagieren – sondern steigern die sprachliche Aggression.

1.2. Raumgewinne auf öffentlichen Plätzen.
Auf derartige Demonstrationen von Macht gegenüber anderen Gruppen reagiert nach Heitmeyers Ansicht die Polizei unzureichend. Die Polizei lässt sich ihr Machtmonopol entreißen. Dies werten die gewaltbereiten Akteurinnen und Akteure als Erfolg.

1.3. Nach den Raumgewinnen folgen Räumungsgewinne.
Gewaltbereite verdrängen andere Gruppen – zum Beispiel Jugendliche aus Clubs, Flüchtlinge aus den zugewiesenen Unterkünften.

1.4. Die für die demokratische Kultur gefährlichste Stufe ist jene der Normalisierungsgewinne.
Was vor einigen Jahren noch undenkbar war, gehört mittlerweile zur Normalität. Auch manche PolitikerInnen äußern sich in einer fremdenfeindlichen Weise, wie dies bis vor Kurzem tabu war. Daraus, so Heitmeyer, entsteht das Destruktive in der Normalität. Denn was als normal gilt, wird nicht mehr problematisiert.

2.  Zwiebelmuster der Gewaltbereitschaft

Die äußere Schale der gewaltbereiten Zwiebel stellen Teile der breiten Bevölkerung, die gruppenbezogen menschenfeindlich eingestellt sind. Sie liefern den radikalisierten Milieus die Legitimation. Befeuert werden diese von VertreterInnen der intellektuellen und politischen Eliten, die mit hochbrisanten Begriffen fahrlässig umgehen.

Die inneren, kleineren Schalen unterteilt die Konflikt- und Gewaltforschung in 3 Schichten:

  • rechtspopulistisches Milieu: hantiert gewaltfrei aber mit grenzwertigen Aussagen und stellt gewalterzeugende Begriffe bei
  • systemablehnendes Milieu: hantiert zum Teil bereits mit Gewalt
  • neonazistische Unterstützungsnetzwerke: agieren mit hoher Gewaltbereitschaft und sogar terroristischen Zellen

Die Übergänge sind fließend. Laut Heitmeyer hat sich zudem in den letzten Jahren mitten in der Gesellschaft eine ‚rohe Bürgerlichkeit‘ gebildet.

4 zentrale Themen der schleichenden Brutalisierung

Für die Bielefelder Gewalt- und Konfliktforscher hat sich die Zunahme der Brutalisierung in der Gesellschaft lange angekündigt. Zu Grunde liegen 4 zentrale Themen:

  • die Angst vor sozialer Desintegration in einem autoritären kapitalistischen System
  • die Angst vor kultureller Überfremdung
  • die politische Entfremdung, wahrgenommen als Demokratieentfremdung
  • die De-Nationalisierung von Politik (‚Brüssel‘)

Gewaltfördernder Katalysator war die Fluchtbewegung der Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten nach Europa.

Quellen und links

der Freitag: Online-Ausgabe vom 13.10.2016

Vom Umgang mit Populismus auf 1-sicht

Über das demagogische Panorama von Populisten auf 1-sicht

Über Wilhelm Heitmeyer auf wikipedia

Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung

1-sicht findet: Lesen bildet.
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

 

Wie mit rechtspopulistischen Parteien umgehen?

Der Titel dieser 1-sicht ist entlehnt: DIE ZEIT Nr. 39, 15. September 2016 bringt unter dem Titel ‚Wie mit der AfD umgehen?‘ 9 Thesen – gerichtet an Medienleute – die zu mehr Gelassenheit aufrufen. 1-sicht findet, einige dieser Thesen könnten auch für den Umgang mit der rechtspopulistischen Partei in Österreich Anregung sein und fasst den Debattenbeitrag zusammen:

  1. Nicht immer dazusagen, wie schlimm sie ist
    Formulierungen wie ‚die rechtspopulistische …‘ unterlassen, denn dadurch werde vermittelt, dass egal ist, was nun folgt. Die Abgrenzung zwischen ‚die rechtspopulistische …‘ und ‚die demokratischen Parteien‘ nicht überstrapazieren.
    Statt dessen: Argumente bieten.
  2. Sie nicht mit Rechtsextremen und Neonazis gleichsetzen
    Eine pauschale Gleichsetzung mit Rechtsextremen und Neonazis verstelle den Blick auf die dringend gebotenen Nachweise der konkreten Grenzüberschreitungen. Die Dämonisierung bestärke die Dämonisierten (Partei und ihre AnhängerInnen) in der Paria-Rolle.
  3. Nicht auf jede Provokation einsteigen
    Die Partei proviziert und freut sich über die Echauffierung. Diesen Kreislauf gilt es zu durchbrechen.
    Zu einer Normalisierung gehört, dass JournalistInnen den gezielten Provokationen Inhalt, Analyse und Fakten entgegnen.
  4. Raus aus der Spirale der Beleidigungen
    JournalistInnen werden von Funktionären der Partei verächtlich gemacht und sind, menschlich verständlich, beleidigt. Es wird verbal zurück geschossen, die Schüsse treffen Funktionäre wie WählerInnen. Dies sollten die Medienleute vermeiden.
  5. Mit Fakten und guten Argumenten gegen Verschwörungstheorien
    Gut mit Fakten versorgte LeserInnen können im Pausengespräch, am Stammtisch oder wo auch immer Verschwörungstheorien und Falschmeldungen argumentativ verpuffen lassen.  Dazu braucht es gründliche Recherche seitens der JournalistInnen.
  6. Transparent machen, wie Journalisten arbeiten
    ‚Lügenpresse‘ – die Einen streuen diesen Vorwurf bewusst, die Anderen wissen nicht, wie seriöse Medien arbeiten und glauben den Einen. Diesen Anderen könnte durch das Offenlegen der Arbeitsweise seriöser Medien Unkenntnis genommen und Vertrauen gegeben werden. Wer erfährt, wie ein Bericht zustande kommt, was Hintergrundgespräche sind, wie Autorisierungen ablaufen etc., gewinnt Verständnis.
  7. Eigene Irrtümer eingestehen, valide Argumente anerkennen
    Niemand hat die Weisheit gepachtet. Auch JournalstInnen müssen Ahnungslosigkeit gegebenenfalls eingestehen. Und es gilt: Ein Argument wird nicht dadurch schlecht, dass es von jemandem vertreten wird, den man ablehnt. Ein gutes Argument zählt, auch wenn es von der ‚falschen Seite‘ kommt. Umso glaubhafter kann man  sagen, wo das Gegenüber falsch liegt.
  8. Gewöhnliche Menschen zu Wort kommen lassen
    In unserer Welt der professionellen Meinungsbildung klingen Argumente und Gegenargumente oft erwartbar, eingeübt und reflexhaft. Die Bildung der öffentlichen Meinung scheint denjenigen vorbehalten, die sich kraft Amt oder Beruf dazu befugt sehen. Die Enttäuschten fühlen sich von den Etablierten übersehen und werden wütend. Sie müssen gehört und ernst genommen werden.
  9. Die Partei weder vergrößern noch ausgrenzen
    Zwei Obsessionen werden konstatiert:
    a) Berichterstattung in einem Ausmaß, als wäre dies das wichtigste Thema
    b) Ausgrenzung im Sinne von ‚wir gegen die‘, ‚uns‘ versus ‚denen‘, als gäbe es keine Gemeinsamkeiten. Dies macht die Partei tatsächlich zu jener Fundamentalopposition, die sie vorgibt, zu sein. Ausgrenzung wird aber nicht zum Verschwinden sondern zur Stärkung führen, zumal die Partei die Ausgrenzung provoziert, weil sie davon lebt und ebenfalls das ‚wir gegen die‘ beschwört.

    Deshalb ist es wichtig, sie zunächst als das zu betrachten, was sie ist: eine Partei, die alles infrage stellt, aber selbst noch nicht gezeigt hat, dass sie irgendetwas besser kann. Es ist Zeit, die AfD bei der Verantwortung zu packen, statt ihre Politiker zu Aussätzigen zu erklären. Um sie nicht größer zu machen, als sie ist. (DIE ZEIT, 15. September 2016, Anne Hähnig und Martin Machowecz)

Quellen und links

DIE ZEIT, Ausgabe Nr. 39, 15. September 2016, Anne Hähning und Martin Machowecz, www.zeit.de

Populisten und ihr dämagogisches Panorama auf 1-sicht

1-sicht findet: Lesen bildet.
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Populisten und ihr demagogisches Panorama

Wer heute Entscheidungen trifft, nachdem er Meinungsforscher zu Rate gezogen oder Parteimitglieder befragt hat, gilt schnell als populistisch. Und das ist mitnichten anerkennend gemeint. Warum sind Populisten in demokratischen Kreisen verdächtig, jemand der populär ist, aber durchaus angesehen? Es stammen doch beide Begriffe vom lateinischen Wort „populus“ (Volk) ab.

Walter Ötsch, Professor für Ökonomie und Kulturgeschichte,  beschäftigt sich seit Jahren mit politischer Kommunikation. Sein Werk ‚Haider light – Handbuch für Demagogie‘ gilt als Standardwerk zum Umgang mit Populisten. Ötsch zeigt das Konzept von Populismus auf. Dieses geht tiefer, als mit dem Begriff populistisch gemeinhin gemeint ist. Und es ist tatsächlich mehr als fragwürdig.

Populistische, also vom Volk ausgehende Bewegungen, so Ötsch, sind kein Phänomen unserer Zeit. Auch beispielsweise die US-Farmer-Bewegungen Anfang des 19. Jahrhunderts und die russischen Volkstümler (narodniki) im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sind als populistisch zu bezeichnen. Eine Gruppe vereint sich gegen eine als Elite wahrgenommene andere Gruppe und versucht, das eigene Interesse – das Interesse des ‚Volkes‘ – durchzusetzen.

Obwohl sich populistische Bewegungen – man beachte die Vermeidung des Begriffes Partei, dazu später – in vielerlei Hinsichten unterscheiden, erkennt man Gemeinsamkeiten, von Ötsch Dimensionen des Populismus genannt:

  • technische Dimension: vereinfachender Politstil, bilderreiche Sprache, die eine direkte Verbindung zum ‚Volk‘ (zu den einfachen Leuten) konstruiert, agitatorische Haltung, spontane Eklats gegen das ‚Establishment‘
  • inhaltliche Dimension: mobilisierungsfähige Protest-Themen, imaginäre Missstände und Krisen
  • personelle Dimension: zentrale charismatische Persönlichkeit
  • mediale Dimension: symbiotische Nutzung der Massenmedien mit Blick auf Schlagzeilen positiver wie negativer Art

Vorstellungswelten von PopulistInnen

Ötsch erklärt die populistischen Vorstellungswelten basierend auf dem Modell der sozialen Panoramen des Psychologen Lucas Derk. Der Mensch stellt andere Menschen instinktiv und von klein an in eine gedankliche Nähe oder Ferne. Mit der Zeit entstehen in der Vorstellung jedes Individuums Räume, innere Landschaften, in denen die anderen Personen positioniert sind. Ein Ansatz mit zahlreichen Implikationen von denen im Folgenden auf die Auswirkungen auf die Sprache eingegangen wird.

Populistische Sprache

Die sozialen Panoramen haben Einfluss auf Sprachbilder bzw. finden sich darin wider. Ergo kann von der Sprache auf die Vorstellungswelt geschlossen werden. Populistische Sprache zeichnet sich durch Gegenüberstellungen aus wie:

  • Volk versus Elite
  • oben (Staat, Parteien, politische Klasse, …) versus unten (Volk, Gesellschaft, Bewegung, …)
  • System versus kleine Leute
  • Nation versus Ausland
  • leistungsorientierte Bürger versus Sozialschmarotzer
  • erfolgreiche Betriebe versus leistungsfeindliche Bürokratie
  • WIR versus DIE

Dabei wird so getan, als wäre jede der beiden einander gegenüber gestellten Gruppen in sich homogen. Dies widerspricht fundamental dem Parteienprinzip demokratischer Gesellschaften. Das Wort Partei kommt von „pars“ (lateinisch für Teil). Parteien vertreten per definitionem nicht die Meinung aller (Zeit, 15. September 2016, ‚Wer spricht für das Volk?‘). Parteien müssen Konflikte austragen,  Mehrheiten bilden.

Demagogisches Panorama

Die populistische Rhetorik zeichnet laut Ötsch das Bild einer strikt geteilten Welt, wobei die beiden Teile einander feindlich gegenüber stehen (demagogisches Panorama) und die Abstände weit über die üblichen Distinguierungen (Alte : Junge, Österreicher : Deutsche, …) hinaus gehen. Zwei Gestaltungsprinzipien fördern das demagogische Panorama:

  • Logik der Äquivalenz: unterschiedliche Menschen innerhalb einer Gruppe werden ähnlich gemacht
  • Logik der Differenz: die Hauptmerkmale von WIR und DIE sind völlig unterschiedlicher Art

Dies kann in Extremfällen dazu führen, dass die DIE wie Wesen einer anderen Spezies oder völlig depersonalisert dargestellt werden (vergl. ‚Kakerlaken’rhetorik der Hutu in Vorbereitung des Genozids an den Tutsi in Ruanda 1994, Verunglimpfungen und verbale Entmenschlichung von Bevölkerungsgruppen durch die Nationalsozialisten).

Demagogisches Panorama, Lucas Derj
Demagogisches Panorama, Lucas Derk

Ötsch illustriert dieses duale Demagogie-Bild anhand von FPÖ-Wahlplakaten zum Beispiel:

  • Daham statt Islam
  • Heimat statt EU-Diktat
  • Deutsch statt nix verstehn

Es versteht sich fast von selbst, dass im populistischen Weltbild WIR immer gut, DIE immer schlecht, WIR die Opfer, DIE die Täter sind. Entsprechend normiert ist die Sprachregelung. Dazu kommt: Gefühle werden  durch Erzählen von Einzelfallgeschichten angeheizt, die Einzelfälle verallgemeinert. DIE müssen als Sündenböcke für Probleme  und Krisen aller Art herhalten, WIR sind die Verheißung der besseren Welt.

Da die Kategorisierung in DIE und WIR reine Willkür ist, braucht eine populistische Bewegung ein äutoritäres Führungsprinzip. Es kann keine wirkliche Auseinandersetzung innerhalb der WIR geben, es entscheidet ein ‚Führer‘, eine ‚Zentrale‘.

Sicherheitsversprechen

Populistische Rhetorik schafft für Menschen, die in Unsicherheit leben oder zu leben meinen, Klarheit. Da diese vermeintliche Klarheit auf willkürlichen Kategorisierungen und nicht auf Fakten basiert, kann Realitätsverlust die Folge sein, was wiederum PopulistInnen Vorschub leistet.

Quellen und links

Populismus und Demagogie: Jörg Haider, Heinz-Christian Strache, Frank Stronach und die Tea Party; Walter Ötsch; Langfassung eines Vortrags vom 24.10.2013 im Rahmen der Veranstaltung ‚Alltagsrassismus‘

Die Zeit, 15. September 2016

Völkermord in Ruanda – wikipedia

Weitere 1-sicht zu Populismus

1-sicht findet: Lesen bildet.
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

 

1-sicht empfiehlt Lese-, Hör-, Sehstoff: September 2016

Lesestoff:
Was ist Populismus?
Ein Essay von Jan-Werner Müller, April 2016

Ist moderne Politik, wenn sie  eine breite Zustimmung der Wähler bedarf, in der Tendenz immer populistisch? Oder gilt es nur für bestimmte Erscheinungsformen?
Aktuelle politische Entwicklungen nimmt Jan-Werner Müller zum Ausgangspunkt, um eine Theorie des Populismus zu skizzieren und Populismus letztlich klar von der Demokratie abzugrenzen.
„Wir – und nur wir- repräsentieren das wahre Volk.“ Diese von Populisten häufig getätigte Aussage ist eine moralische und nicht empirisch unterlegte. Wer nur simple wirtschaftliche Lösungen anbietet und / oder auf „die da oben“ schimpft, jedoch dabei keinen solchen moralischen Alleinvertretungsanspruch für sich reklamiert, mag ein Demagoge sein oder ein ökonomischer Dilettant – aber ein Populist ist er nicht. Somit gilt nach Müller, dass es keinen Populismus ohne moralisch aufgeladener Polarisierung gibt, wo die politischen Unterscheidungen auf ein moralisches Richtig oder Falsch hinauslaufen. Auf ein WIR als Repräsentanten des wahren Volkes und auf ein DIE, welche den moralischen Ansprüchen nicht genügen.
Mit historischen und aktuellen Beispielen zeigt Müller, wie sich Populismus von Demokratie unterscheidet, welche Transformation Populisten in ihren Aussagen und Handeln vollziehen, wenn sie von einer Oppositionsbewegung oder -partei in Regierungsverantwortung – wie z.B. Ungarn, Polen, Italien, Venezuela, Bolivien wechseln.

Die von Jan-Werner Müller beschriebenen Thesen bilden eine sachlich fundierte Diskussionsgrundlage und helfen, neue Strategien in der Auseinandersetzung mit Populisten zu entwickeln.

Bildergebnis

April 2016

Leseprobe ‚Was ist Populismus?‘

1-sicht findet: Lesen bildet.
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand