1-sicht empfiehlt Lese-, Hör-, Sehstoff: August 2016

Lesestoff:
Die schwarze Macht – Der „Islamische Staat“ und die Strategen des Terrors

Der „islamische Staat“ (IS) gilt als gefährlichste Terrororganisation weltweit. Wie es dazu kommen konnte und was ihn so gefährlich macht, zeigt Christoph Reuter, der sich laut F.A.Z. jahrelang fast ausschließlich dem Bürgerkrieg in Syrien gewidmet hat und seit dem Beginn des Aufstands gegen den syrischen Diktator Baschar al Assad immer wieder auf lebensgefährlichen Reisen in der syrischen und irakischen Krisenregion unterwegs war. Der IS sei keine Horde unaufhaltsamer Gotteskrieger sondern pragmatisch, zu Ablasshandel bereit und mutationsfähig.

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Leseprobe Die schwarze Macht

Rezension in der F.A.Z.: Die kühl kalkulierenden Gotteskrieger

Auszüge aus dem Buch auf Spiegel online: Der Kaninchen-Killer vom „Islamischen Staat“

Die schwarze Macht, Christoph Reuter, Verlagsgruppe Random House

1-sicht findet: Lesen bildet.
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Krieg in Syrien und kein Ende in Sicht. Krieg in Libyen und der Zusammenfall des Staates in Sicht.

Während die EU in der ‚Flüchtlingskrise‘ scheinbar unterzugehen droht, zerstört das Kriegsgeschehen in Syrien und Libyen das Leben Tausender und die Lebensgrundlage Abertausender.

Syrien – warum ist Frieden nicht möglich?

Das Magazin Time ortet 4 wesentliche Hindernisse auf dem Weg zu einem Frieden in Syrien (Time, 15. Februar 2016, Jared Malsin):

  • Zersplitterte Opposition: Syrische Rebellen- und Oppositionsgruppen formierten im Dezember ein ‚High Negotiations Committe‘. Doch anhaltende Spannungen zwischen islamistischen und zivilen Gruppen machen ein gemeinsames Auftreten unmöglich. Zudem monieren kurdische Gruppen, die einen erheblichen Teil des Landes kontrollieren, nicht zur Beiteiligung eingeladen worden zu sein.
  • Die ‚Assad-Frage‘: Es herrscht Uneinigkeit betreffend das Schicksal von Präsident Bashar Assad. USA hat sich von der Forderung nach Regimewechsel distanziert, die Oppositionsgruppen fordern den Rückzug Assads.
  • Die Stärke des Regimes: Der syrische Präsident ist aktuell in einer stärkeren Position – und daher weniger kompromissbereit – als vor 6 Monaten, dank der Unterstützung Russlands, dem Eintritt iranischer Truppen und shiitischer Kämpfer vom Irak und aus Afghanistan.
  • Erneute Gewalt: Luftangriffe auf Aleppo seitens Russland und des syrischen Regimes erreichten Anfang Februar einen neuerlichen Höhepunkt. Menschenrechtsgruppen sprechen von schätzungweise 270 Angriffen in 3 Tagen. Oppositionsgruppen halten Verhandlungen für zwecklos, solange die Attacken nicht eingestellt werden.

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Syrien, Bildquelle: Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de

Libyen – Bürgerkrieg statt Systemwechsel

2011 verhelfen NATO und einige asiatische Staaten bewaffneten Milizen zum Sieg über Muammar al Gaddafi, dem langjährigen und vom ‚Westen‘ durchaus geschätzten bis hofierten Diktator, der am 20. Oktober auf der Flucht erschossen wird.

Systemwechsel wird keiner daraus. Stattdessen: permanenter Bürgerkrieg. Derzeit herrschen 2 Regierungen, 2 Parlamente in 2 ‚Hauptstädten‘ (Tobrinki im Osten, tendenziell säkular; Tripolis im Westen, tendenziell islamistisch) und weit über 1000 Milizen. Der selbst ernannte ‚Islamische Staat‘ IS gewinnt an Stärke und verdient am Menschenschmuggel. Die Wirtschaft ist weitgehend zusammengebrochen. Noch lebt das Land vom einstigen Reichtum, den es dem weltweit begehrten Rohstoff Erdöl verdankt. Doch IS und andere Milizen schrecken nicht davor zurück, die Anlagen und damit die industriellen Lebensadern zu zerstören.

Ein Wunder, dass es nach wie vor funktionierende Bereiche öffentlichen Lebens gibt. Bürokratie und Teile der Exekutive arbeiten noch, da die 3 zentralen staatlichen Institutionen sich für neutral erklärt haben: das staatliche Erdölunternehmen, der libysche Staatsfonds und die libysche Zentralbank. Letztere zahlt Sold an Lehrer, Professoren, Richter, Polizei, Angestellte der Küstenwache. Und auch an Kampfbrigaden. Was irrsinnig klingt, wirkt segensreich. Andernfalls wären Plünderungen, Überfälle etc. noch häufiger als ohnehin. Pessimistische Prognosen gehen jedoch davon aus, dass der Staat im April bankrott ist. (Deutschlandfunk, 11.2.2016, Bettina Rühl)

Man mag sich nicht vorstellen, was das für die Region, das Land und die Menschen bedeutet. Die EU kurbelt derweilen die Zaunkonjunktur an und verrät ihre Werte.

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Libyen, Bildquelle: Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de

Quellen und links

TIME, 15. Februar 2015

Deutschlandfunk – 11.2.2016

Der Standard – 3.2.2016

Werte der Europäischen Union

Bundeszentrale für politische Bildung

Über Syrien auf 1-sicht

Syriens Nachbarn und die Flüchtlinge

Ein musikalischer Beitrag zum Zaunbau

Zäune bauen – Uta Köbernick

 

 

Die Lesenden

Krieg gegen den Terror – zweiter Versuch, neuer Schauplatz.

„Ende März 2009 kündigte US-Außenministerin Hillary Clinton an, dass die US-Regierung den Begriff nicht mehr verwenden werde.“ hält Wikipedia fest. Nun erlebt ‚Krieg gegen den Terror‘ in Europa eine Renaissance.

US-Präsident George W. Bush sprach am 20. September 2001 vor dem Kongress:

„Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit Al-Qaida, aber er endet nicht dort. Er wird nicht enden, bis jede terroristische Gruppe von globaler Reichweite gefunden, gestoppt und geschlagen ist.
[…]
Die Amerikaner sollten nicht einen Kampf erwarten, sondern eine langwierige Kampagne, anders als alle, die wir je gesehen haben. Diese könnte dramatische Angriffe einschließen, die im Fernsehen übertragen werden, und versteckte Operationen, die auch bei Erfolg geheim bleiben. Wir werden den Terroristen ihre Geldmittel abschneiden, sie gegeneinander aufbringen, sie von Ort zu Ort treiben, bis es für sie keine Zuflucht oder Ruhe mehr gibt. Und wir werden die Staaten verfolgen, die dem Terrorismus Hilfe zur Verfügung stellen oder ihm einen sicheren Hafen bieten. Jedes Land in jeder Region muss sich jetzt entscheiden – entweder es steht an unserer Seite oder an der Seite der Terroristen.“ (Wikipedia)

In diesen Tagen lesen wir zum Beispiel:

„Strategie gegen IS-Terror: Hollande will sich mit Obama zum Krieg verabreden“ (Spiegel)

Syrien: Nichts gelernt

Der Westen hat aus bisherigen Anti-Terror-Kriegen keine Lehren gezogen. Auch kann von Einigkeit der Anti-Terror-Krieger keine Rede sein. Für Syrien lässt das wenig Gutes erhoffen.

Krieg gegen den Terror – zweiter Versuch, neuer Schauplatz. Als Reaktion auf die Anschläge am 11. September 2001 in New York und Washington sind die Nato-Verbündeten US-Präsident George W. Bush nach Afghanistan gefolgt.

Die Attentate des 13. November 2015 in Paris führen Frankreichs Präsidenten François Hollande und seine europäischen Freunde Richtung Syrien. Der Gegner heißt nicht mehr Al-Kaida, sondern „Islamischer Staat“. Wirklich erfolgreich war der erste Kreuzzug nicht. Haben die Teilnehmer von Kreuzzug Nr. 2 hinreichend Lehren daraus gezogen? Eher nicht.

Das fängt an mit dem reflexartigen Beginn. Die Regierung einer tief verwundeten Nation schreit nach Vergeltung. Handelte es sich nicht um hoch zivilisierte Staaten, wir sprächen von Blutrache. Und die Blutsbrüder, pardon: die politischen Verbündeten sitzen in der Falle. Sie müssen Paris zu Willen sein, obwohl die afghanische Erfahrung zur Vorsicht hätte mahnen sollen.

Denn dort wurde Osama bin Laden, der mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge, zwar irgendwann getötet. Doch der Terror ähnelt der Schlange Hydra in der griechischen Mythologie. Für jeden Kopf, der diesem vielhäuptigen Wesen abgeschlagen wurde, wuchsen zwei neue. Der Krieg gegen den Terror hat nicht nur die Zahl der Terroristen potenziert. Er hat auch ihre geografische Basis vergrößert. Es müsse verhindert werden, dass Al-Kaida in einer Heimstatt am Hindukusch sicher sein könne, hieß es damals. Heute bilden weite Teile Syriens, des Irak, Libyens, einige Länder Afrikas und immer noch Afghanistan den Rückzugsraum des „Islamischen Staates“ und ähnlicher Gruppierungen.

Der Anti-Terror-Krieg entwickelte eine politische Dynamik zur Ausweitung seiner Ziele. So kamen „Schurkenstaaten“ ins Visier wie der Irak. Oder Libyen. Deren blutige Regime sind inzwischen hinweggefegt. In ihren Trümmern blüht nun das terroristische Chaos. Der „Islamische Staat“ ist militärisch auch deshalb so stark, weil er große Teile des Offizierskorps der Armee Saddam Husseins integriert hat.

Diese Erfahrung führt nun zu einer seltsamen Unentschiedenheit im Umgang mit Syrien. Hier hat der IS seine Basis. Hier müsste er geschlagen oder zumindest entscheidend geschwächt werden. Doch sein wichtigster Gegner vor Ort heißt Baschar al-Assad, ein Diktator nicht besser als Saddam Hussein oder Muammar al-Gaddafi. Darf man mit ihm zumindest teilweise gemeinsame Sache machen? Die deutsche Regierung antwortet darauf mit einem entschiedenen Jein und setzt darauf, dass zumindest Teile von Assads Armee in der Kooperation mit dem Westen eine Perspektive sehen könnten. Doch noch ist eine Spaltung des syrischen Regimes von außen nicht zu erkennen.

Ebenso wenig kann von Einigkeit der Anti-Terror-Krieger die Rede sein. Ja, man will den IS stoppen. Die USA bombardieren schon länger seine Stellungen. Nach dem Terror von Paris ist Frankreich hinzugekommen. Aber die Türkei, ein wichtiger Nato-Partner, findet es aus innenpolitischen Erwägungen noch wichtiger, die Kurden zu bekämpfen, die wiederum nicht nur Deutschland als Bodentruppen gegen die Terrormilizen aufrüstet.

Bislang unabgesprochen mit den westlichen Staaten bekämpft auch Russland den IS – mit dem Ziel das Assad-Regime zu stabilisieren. Wie lange dies traditionelle Band hält, ist ungewiss. Sicher ist nur: Ein Krieg, in dem die wichtigsten Teilnehmer unterschiedliche Vorstellungen verfolgen, ist schwer zu gewinnen. Ein Krieg, in den nicht alle Kräfte geworfen werden, um eine Entscheidung herbeizuführen, erst recht nicht.

Hier steht dem Westen eine zentrale Lehre aus dem Anti-Terrorkrieg Nr. 1 im Weg: Bloß nicht zu weit hineinziehen lassen! Einmischung in den Krieg am Boden bringt aus dieser Sicht nur eigene Opfer, aber wenig Erfolg. Da übt sich die deutsche Verteidigungsministerin lieber im Schönreden der Wirklichkeit: „Wo alle Interesse am Erfolg haben, finden sich auch motivierte lokale Bodentruppen.“ Was der Erfolg, was die gemeinsamen Kriegsziele seien, darüber wird aber gerade erst verhandelt. Und gestritten. Ende? Ungewiss. Bei einer internationalen Runde in Wien wird gerade erst versucht, die unterschiedlichen Kräfte in Syrien zwischen Assad und IS unter einen Hut zu bringen.

In dieser unübersichtlichen Lage scheint es schlau, wenn die Bundesregierung gegenüber Frankreich ihrer Bündnispflicht genügt, bis zu 1200 Soldaten einbringt, sie aber vorsichtig zur See und in der Luft operieren lässt. Aber ist es auch klug? Denn das Muster ist bekannt. Auch in Afghanistan (und vorher auf dem Balkan) hat sich Deutschland nur in Mini-Schritten in die blutige Auseinandersetzung begeben – und war am Ende doch hinreichend dabei, um an den mangelnden Erfolgen teilhaben zu dürfen.

Frankfurter Rundschau 30.11.2015

Auge um Auge – viel zu schnell fallen tief verwundete Nationen und ihre politischen Verbündeten in alte Verhaltensmuster. Foto: dpa; Quelle: Frankfurter Rundschau

Ist Krieg gegen den Terror gerechter Krieg?

Im Rahmen der diesjährigen Göttinger Nachhaltigkeitskonferenz referierte der Politikwissenschaftler Lothar Brock in seinem Eröffnungsvortrag „Migration – Frieden – Human Security“ unter anderem zum ‚gerechten Krieg‘. Der Deutschlandfunk berichtete am 26.11.2015:

Amerika definierte 2001 den Krieg gegen den Terrorismus als gerechten Krieg, bei dem das Völkerrecht keine Einschränkung darstellen dürfe. Brock warnt, dass diese Einstellung gleichzeitig die Möglichkeit zur Legitimation von Gewalt öffnet.

Der aktuell vielfach geäußerten Angst, Migration bringe Terror hervor, widerspricht der langjährig an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung tätige Wissenschaftler.  Aber Migranten könnten von Terroristen missbraucht werden, wenn ihre Integration misslinge. Und Integration – misslinge in der Regel.

Quelle: Deutschlandfunk 26.11.2015

Weitere Links

Wikipedia – Krieg gegen den Terror

Spiegel

Presse

FAZ