22 Lügen täglich – Donald Trump sammelt Pinocchios

Die Washington Post betreibt seit 2007 die website Fact Checker, um falsche oder irreführende Aussagen aufzudecken. Sie prüft in erster Linie Behauptungen von US-Politikerinnen und -Politikern zu Themen von großer Bedeutung. Auch die Aussagen des Präsidenten Donald Trump, der seit 2016 im Amt ist, werden auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft. Während der ersten 100 Tage seiner Amtszeit verzeichnete Fact Checker 492 falsche Aussagen, Tagesdurchschnitt also knapp 5.

über 16.000 Falschaussagen von 2016 bis 2019

2017 machte der US-Präsident 1.999 falsche oder zumindest irreführende Aussagen (6 pro Tag), 2018 waren es weitere 5.689 (16/Tag) und in 2019 8.155 (22/Tag).

Die Lügenstatistik ergibt folgendes Monatsranking:

  • Oktober 2018: 1.205
  • Oktober 2019: 1.159
  • November 2019: 903
  • November 2018: 867

Die Spitzenplätze der Monate Oktober und November 2019 sind auf die Untersuchungen und das impeachment-Verfahren im Zusammenhang mit der (versuchten) Einflussnahme des US-Präsidenten auf den Präsidenten der Ukraine zurückzuführen. Trump hat Wolodymyr Selenskyj dazu bringen wollen, eine Untersuchung gegen den früheren US-Vizepräsidenten Joe Biden, Präsidentschaftsanwärter der Demokraten in 2020, in Gang zu setzen. Fast 1000 Falschaussagen oder irreführende Aussagen des US-Präsidenten haben mit dieser versuchten Einflussnahme zu tun.

Die Pinocchios

Washington Post vergibt Pinocchios für Aussagen, die mehr oder weniger von der Wahrheit abweichen.

 (The Washington Post)
  • 1 Pinocchio = überwiegend richtig, allerdings werden manche Fakten verheimlicht, manche übertrieben
  • 2 Pinocchios = ‚halbrichtig‘, es sind deutliche Auslassungen und/oder Übertreibungen enthalten
  • 3 Pinocchios = überwiegend falsch, falsche Aussagen, Widersprüche, Aussagen, die zwar stimmen, aber völlig aus dem Kontext genommen sind
  • 4 Pinocchios = faustdicke Lüge

bodenlose Pinocchios für den US-Präsidenten

Der bodenlose Pinocchio erblickte im Dezember 2018 das Licht der Washington Post, um das Lügendickicht zu erhellen. Der bodenlose Pinocchio wird verliehen, wenn eine Aussage bereits 3 oder 4 Pinocchios erhalten hat und mindestens 20 Mal wiederholt wurde. Mit Status Ende Jänner 2020 konnte der US-Präsident bereits auf 32 bodenlose Pinocchios stolz sein.

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Quellen und links

Washington Post, 20. Jänner 2020: President Trump made 16.241 false or misleading claims in his first three years; Glenn Kessler, Salvador Rizzo und Meg Kelly

Washington Post: About the Fact Checker

Desinformation durch Asymmetrie in der Berichterstattung, 1-sicht

Pinocchios zählen
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Zeitung heute: Redaktion oder Rechenzentrum?

Im Jahr 2013 kaufte Jeff Bezos, der 1994 den Online-Versandhändler Amazon gegründet hatte, die Tageszeitung The Washington Post. 1877 gegründet ist diese laut wikipedia die größte und die älteste noch erscheinende Tageszeitung in Washington. Sie war im Jahr der Amazon-Gründung 117 Jahre alt. Ihren Ruf als Hochburg des investigativen Journalismus verdankt sie insbesondere der Aufdeckung der sogenannten Watergate-Affäre durch die beiden Post-Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein in den 1970er Jahren.

Seit Anfang der 2000er Jahre, so berichtet das Wirtschaftsmagazin brandeins in der Ausgabe vom Juli 2016, als der damalige Verleger Don Graham das renommierte Blatt als lokales Medium positionierte, verlor ‚die Post‘ an Terrain gegenüber online-Magazinen. Anderen Traditionszeitungen (z.B. Wallstreet Journal, Guardian) gelang es, sich im Netz zu etablieren und eine globale Leserschaft zu gewinnen, die Washington Post rang um Anschluss.

Vom Lokalblatt zum journalistischen Experiment

2013 wurden Don Graham und Jeff Bezos handelseinig. Letzterer übernahm die Zeitung als Privatmann um 250 Mio. US-Dollar.  Jeff Bezos, der bereits als 12-Jähriger ein rechnerisches Bewertungssystem zur Beurteilung seiner LehrerInnen entwickelte und das Ergebnis grafisch aufbereitete  (Der Allesvekäufer, Jeff Bezos und das Imperium von Amazon)

Wir werden ein großes Experiment starten: Wie kann man Nachrichten im digitalen Zeitalter verbreiten? Niemand weiß es, ich schon gar nicht. Wir wollen es herausfinden. (Bezos; brandeins, Juli 2016)

Nun herrscht Aufbruchstimmung.

  • Die Schreibstuben – pardon newsrooms – zogen in neue futuristische Gebäude.
  • 250 MitarbeiterInnen wurden aufgenommen: Journalisten und Software-Ingenieure (!)
  • Ein Rechenzentrum wurde mindestens so wichtig wie die Redaktionssitzungen.
  • Und dank desselben liefern sich seit Kurzem die online-Ausgabe der Washington Post und jene der New York Times Kopf-an-Kopf-Rennen in der Statistik der monatlichen unique visitors.

Gleich geblieben ist der hohe Anspruch an die journalistische Qualität. Für diese sorgt Chefredakteur Martin Baron,  der zuvor für den Boston Globe arbeitete und für diesen die Aufdeckungen über sexuelle Gewalt an Kindern durch katholische Priester vorantrieb. Der Fall wurde unter dem Namen ’spotlight‘ verfilmt und erhielt 2016 zwei Oscars (Bester Film und bestes Drehbuch).

Journalisten und Algorithmen

Was langjährigen Profis des Journalismus noch weh tut, ist für die junge Generation eine Selbsverständlichkeit: Berichtet wird darüber, was die geneigte LeserInnenschaft interessiert, womit sie sich – beispielsweie in social media – beschäftigt. Was das ist, finden Algorithmen heraus. Ebenso, woher die Zugriffe auf die website kommen. Natürlich auch, ob Konkurrenzblätter eine Geschichte früher veröffentlichten. Wo auf der website eine Geschichte ideal platziert ist, um möglichst hohe Zugriffsraten zu verzeichnen. Und welche Schlagzeile eines Artikels die ‚erfolgreichste‘ ist, also die höchsten Zugriffsraten generiert. Zu jedem Artikel müssen mindestens 4 verschiedene Überschriften geliefert werden.

In Rechenzentrum und Redaktion weiß man erstaunlich gut über die Leserin/den Leser Bescheid. Nicht nur ist bekannt, welches Gerät zum Lesen benutzt wird. Auch können die Techniker innerhalb von 3 Sekunden erkennen, ob dieses bei der Arbeit oder zu Hause, im Liegen, Sitzen, Gehen oder Stehen im Einsatz ist.  Entsprechend werden Empfehlungen angeboten.

Trotz der Lenkungsfunktion der Algorithmen sei nicht big data Auslöser für eine Recherche sondern zählen immer noch Instinkt und Professionalität der JournalistInnen, wird Baron in brandeins zitiert.

Man darf auf die Fortsetzung des Experiments gespannt sein. Eine Formel könnte lauten: Journalismus = Redaktion x Algorithmus.

Quellen und links

Wirtschaftsmagazin brandeins, Heft 07 Juli 2016

Über The Washington Post auf wikipedia

Der Allesverkäufer. Jeff Bezos und das Imperium von Amazon. Brad Stone

Über Jeff Bezos auf wikipedia

Über Journalismus auf 1-sicht

Medien: Spiegel der Gesellschaft mit Fähigkeit zu Selbstzweifeln

1-sicht findet: Lesen bildet.
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand