Mails hacken war gestern.

Heute kapert man Twitter-Accounts von Ministeriumsmitarbeitern.

Dies legt jedenfalls ein Bericht der US-Spionagejäger vom 2. März 2017 über russische Spionageaktivitäten  nahe. (TIME, 29. Mai 2017: Hacking democracy – inside Russia’s social media war on America)

Es scheint Hinweise darauf zu geben, dass Russland sich nicht mehr damit begnügt, E-Mails oder websites zu hacken. Vielmehr soll es im Jahr 2016 während des Präsidentschaftswahlkampfes in den USA über 10.000 Twitter-Accounts von MitarbeiterInnen des Verteidigungsministeriums infiziert haben. Man schickte zielgerichtet Nachrichten, zum Beispiel von Sport- oder Kulturveranstaltungen des Vortages. Der zugehörige link führte zu russisch kontrollierten Servern, die ein Programm installierten, das sich Zugriff auf das smartphone oder den Computer und damit auf den Twitter-Account nahm. Ab diesem Zeitpunkt war der ursprüngliche Account-Betreiber nicht mehr Herr über seine Nachrichten, der Account wurde auch von jemand anderem benutzt.

Von offiziellen Personen können also Nachrichten ausgehen, die diese gar nicht aussenden. Was kann es im Fall einer Naturkatastrophe oder eines Anschlages nach sich ziehen, wenn aus den Ministerien von fremder Hand gesteuerte Botschaften an die Bevölkerung gehen? Was bedeutet es für Informationsbeschaffung, Meinungsbildung allgemein und insbesondere im Zuge von Wahlkämpfen, wenn der Absender einer Nachricht in Wahrheit gar nicht der Absender ist. Die social media-Technologien, so zitiert TIME Forscher und Geheimdienstspezialisten, machen es möglich, die Grundfesten des demokratischen politischen Systems zu unterminieren.

Social Media-UserInnen sind offene Bücher

Wer auf den Plattformen von Twitter, Facebook und Co postet, liked, sonstwie Stellung bezieht, generiert eine riesige Datenmenge, die – weil von großem kommerziellen Interesse – gesammelt und gespeichert wird. Mittels mathematischer Formeln, Algorithmen, segmentiert man die unüberschaubare Datenflut in kleine Gruppen mit jeweils charakteristischen Merkmalen wie Kulturgeschmack, politischer Neigung, Religion. Innerhalb dieser erkennt man diejenigen, die am stärksten beeinflussbar sind und ihrerseits Einfluss haben. Mit maßgeschneiderten Botschaften wird versucht deren Meinungen und schließlich (Wahl-)Verhalten zu verändern. Auch Journalisten, die als beeinflussbar erscheinen, werden auf diese Weise aufgespürt und mit starken aber gefälschten Geschichten ‚versorgt‘. Diese Aufgabe übernehmen neben Menschen auch Trolle und Bots und andere von Menschenhand geschaffene künstliche Charaktere.

Troll-Farmen und fake-news-outlets

Bereits in 2012 soll Russlands Präsident Vladimir Putin Geheimdienstressourcen in die Errichtung von Troll-Framen, botnet-Aktivitäten und fake-news-outlets gelenkt haben.

Das Gerücht, Russland habe den US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 via social media-Aktivitäten beeinflusst, hält sich – nicht nur unter VerschwörungstheoretikerInnen. Und es könnte etwas Wahres daran sein. ForscherInnen der Universität von Südkalifornien fanden heraus, dass rund 20% der politischen Tweets im Zeitraum 16. September bis 20. Oktober 2016 von bots unbekannter Herkunft stammen. Möglicherweise spielen dabei gemäß Untersuchungen des Kongresses auch 2 dem Präsidenten Trump nahestehende Organisationen eine Rolle:

  • Cambridge Analytica, an Datenanalysefirma, die zum Teil einem Sponsor des Präsidenten, Robert Mercer, gehört.
  • Breitbart News, eine Nachrichtenwebsite, die ehemals vom Berater des Präsidenten, Stephen Bannon, geführt wurde.

Politikveteranen halten die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten von Cambridge Analytica für begrenzt und das Unternehmen selbst sagt, keine Verbindungen zu Russland zu haben.

Nachweislich war in den Staaten Michigan, Wisconsin und Pennsylvania, die zu den wahlentscheidenden Swing-Staaten zählten, die Aufmerksamkeit auf Anti-Clinton-Berichte und fake-news gezogen.

Kontrolle versus Freiheit

Es scheint eine neue Wachheit bezüglich der Einflussmöglichkeiten innerhalb und durch social-media-Plattformen zu geben – sowohl bei den Geheimdiensten und PolitikerInnen, als auch bei Google, Twitter, Facebook. Diese setzen laut TIME Sicherheitsthemen verstärkt auf ihre Agenda, zumal davon ausgegangen wird, dass zukünftig die künstlichen Charaktere wie Trolle und Bots auch emotionsgeladene Botschaften zu formulieren imstande sein werden und diese nicht mehr von jenen der echten Menschen unterschieden werden können.

Die Frage ist, wie man zugleich Kontrollieren und die persönlichen Freiheitsrechte wahren kann. Wie im realen erleben wir auch im virtuellen Raum die Spannung zwischen Sicherheit und Freiheit.

Quellen und links

TIME, 29. Mai 2017, Hacking democracy – inside Russias’s social media war on America, von Massimo Calabresi

Time online

über cambridge analytica auf 1-sicht (Der Milliardär Robert Mercer und sein Propagandanetzwerk)

und noch einmal cambridge analytica auf 1-sicht (Mit dem OCEAN-Modell im Big-Data-Ozean fischen)

über Swing States 2016 auf politico

über die US-Präsidentschaftswahl 2016 auf wikipedia

über die US-Präsidentschaftswahl 2016 auf 1-sicht

1-sicht findet: Lesen bildet.
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Wie können wir unsere freiheitliche Staatsform, unsere Freiheit schützen?

Die Anschläge in Brüssel auf U-Bahn und Flughafen am 22. März 2016 lassen uns einmal mehr entsetzt und ratlos zurück. Politikerstellungnahmen – so kommentiert es Rolf Clement in seinem Artikel „Terror-Prävention –  Mehr Freiheit durch mehr Überwachung“ auf Deutschlandfunk.de – klingen nach derartigen Ereignissen stets gleich. Und sie hätten Recht: „Ja, es ist ein Anschlag auf unsere Lebensweise, auch auf Europa, es ist ein gemeiner hinterhältiger Anschlag,“

Spannungsverhältnis Freiheit : Sicherheit

Was sind die Konsequenzen? Eine nicht neue Forderung sei, den Informationsaustausch zwischen den Ländern zu verbessern. Dies scheitere unter anderem an den unterschiedlichen sicherheitstechnischen Kulturen in den Ländern. Die einen, so Clement, lösen das Spannungsverhältnis zwischen einer eher freiheitlichen Staatsorganisation und dem Vorrang für Sicherheit zu Gunsten der Sicherheit auf, andere – wie Deutschland – eher zu Gunsten der Freiheit.

Um gefährdete Bereiche gezielter schützen zu können, sei es zudem notwendig, über ausreichend und ausreichend gut ausgebildete Sicherheitskräfte zu verfügen. Es klinge paradox, aber nur so können wir die freiheitliche Staatsform erhalten. Clement weist aber auch darauf hin, dass unser Verhalten, dass die Terrorvorsorge nicht bereits erste Erfolge der Terroristen sein dürfen, indem die Gesellschaften weniger frei werden. Die aktuellen Sorgen vor weiteren Anschlägen seien berechtigt, sie dürfen allerdings nicht zum beherrschenden Maßstab unseres Handelns werden. (Quelle: deutschlandfunk.de)

Quellen und links

Deutschlandfunk 22.3.2016

Was zeichnet eine offene Gesellschaft aus – 1-sicht

Friedensforschung und Terrorismusindex – 1-sicht

1-sicht findet: Lesen bildet.
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand