1-sicht empfiehlt Lese-, Hör-, Sehstoff: Juli 2018

Lesestoff:
Maneks Listen
Niko Hofinger

Ein Name, ein Geburtsdatum, zwei Sterbedaten – wie viele Personen? Der Historiker Niko Hofinger erzählt in seinem 2018 erschienenen Roman ‚Maneks Listen‘ die ungewöhnliche – oder auch nicht – Lebensgeschichte eines jüdischen Mannes im Europa des 20. Jahrhunderts. Der Roman basiert auf dem von Flucht und Vertreibung geprägten Leben des Präsidenten der Innsbrucker Kultusgemeinde, Ernst Beschinsky, verstorben 1987. Mit überraschend viel Witz werden dessen gewitzte Überlebensstrategien ausgerollt.

Maneks Listen, Niko Hofinger
Limbus Verlag

Quellen und links

Der Mann, der zweimal starb, Tiroler Tageszeitung, 6.3.2018

Prof. Ernst Beschinsky, Hohenems Genealogie

You only die twice, Dokumentarfilm

Maneks Listen lesen
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Kobalt: Ausbeutung des Kongo und internationale Korruption

Kongo, ein an Bodenschätzen reiches, dennoch bitterarmes zentralafrikanisches Land wird zwischen 2010 und 2012 um 1,36 Milliarden Dollar geprellt. Glencore, die weltweit grösste im Rohstoffhandel tätige Unternehmensgruppe mit operativem Hauptsitz in der Schweiz, verliert an einem Tag des Jahres 2018 4,3 Milliarden Dollar an Aktienwert. Was hat das Eine mit dem Anderen zu tun? Die Antwort: Kobalt. Und Dan Gertler.

Glencore arbeitet mit Dan Gertler, einem durch Diamantenhandel in sehr jungen Jahren sehr reich gewordenen Mann zusammen, der samt seinen Firmen von den USA auf eine Sanktionsliste gesetzt wurde, was der öffentlichen Brandmarkung als Parasit gleichkommt. Daher nimmt das US-Justizministerium die Geschäftsgebarung von Glencore unter die Lupe, was im Juli 2018 zum Absturz der Unternehmensaktie führt.

Glencore betreibt im Kongo Bergbauanlagen im Wert von 10 Milliarden Dollar. Das Unternehmen ist dort einer der größten Produzenten von Kobalt, das für Batterien von Handys und Elektromotoren benötigt wird. Dan Gertler ist einer der Miteigentümer von Glencore und enger Freund von Joseph Kabila, Präsident des Kongo.

Gertler fungiert als Mittelsmann beim Verkauf von Bergbauanlagen, die er gerne auch an mit ihm verbundene Offshore-Gesellschaften verkauft. Und das zu billig. So entgingen nach Schätzungen der NGO Africa Progress Panel dem Staat Kongo in den Jahren 2010 bis 2012 1,36 Milliarden Dollar.

Kabila, Gertler, Glencore

Bereits 1997 knüpfte Gertler Kontakte zum Kabila-Clan und bot 20 Millionen Dollar für ein Diamantenexportmonopol an. Auch dürfte er israelische Waffentechnik vermittelt haben. Für 2001 und 2002 verzeichnet das israelische Verteidigungsministerium den Verkauf leichter Waffen im Wert von 700 000 Dollar an den Kongo.

2009 räumte Glencore Gertler einen Kredit in der Höhe von 45 Millionen Dollar ein.

Als 2017 in den USA Dokumente über Schmiergeldzahlungen von mehr als 100 Millionen Dollar von Gertler an Kabila auftauchten, kaufte Glencore Gertler für 534 Millionen Dollar aus. Glencore stoppte auch die Zahlungen von Bergbau-Lizenzgebühren an Gertler, als dieser auf die US-Sanktionsliste gesetzt wurde, nahm die Zahlungen allerdings im Juni 2017 wieder auf – diesmal in Euro, nicht in Dollar.

Glencores Standpunkt: Zahlt Glencore nicht, würde Gertler noch viel mehr profitieren. Denn Vertraute Kabilas hätten Vermögenswerte des Unternehmens beschlagnahmen lassen und verlangen Kompensationzahlungen in Milliardenhöhe.

Kobalt, China, Elektromobilität

Kobalt ist von strategischer Bedeutung für Europas und Amerikas Elektromobilität. Glencore-Boss Ivan Glasenberg: „Falls Kobalt in die Hände der Chinesen fällt, ja, dann werden Sie keine Elektroautos sehen, die in Europa produziert werden.“ Und falls Glencores Minen im Kongo, in denen Kupfer und Kobalt gefördert werden – enteignet würden, fielen diese in die Hände der bereits dominanten Chinesen. (FAZ, 28.4.2018)

Für batteriebetriebene Autos brauchen wir Kobalt in riesigen Mengen. Der Preis pro Tonne Kobalt stieg von rund 20 000 Dollar (2016) auf rund 90 000 Dollar (2018) an. Zu über 60% stammt dieser Rohstoff aus dem Kongo. Dort wird er teils im industriellen Maßstab, teils im Kleinbergbau und nicht selten von Kinderhand abgebaut. Die Raffinerie findet zu 70 bis 80% in China statt. China baut zudem zielstrebig die Kontrolle über das unveredelte Kobalt aus. Glencores großer Konkurrent im Kongo: China Molybdenum.

Kobalt: Minen im Kongo
Quelle: NZZ

Kobalt, Krieg, Korruption

Eine der von Glencore beherrschten Minen ist Katanga Mining. In deren Geschäftsbericht sind unter anderem folgende Risikofaktoren angeführt:

  • Krieg
  • zivile Unruhen
  • militärische Repression
  • Geiselnahme
  • Korruption
  • Annullierung von Bewilligungen oder Enteignungen.

Während das US-Justizdepartment, Großbritanniens Serious Fraud Office und mittlerweile – basierend auf einer Strafanzeige der NGO Public Eye – auch die Schweizer Bundesanwaltschaft Untersuchungen bei Glencore eingeleitet haben, hält Gertler sich als nobelpreiswürdig für seine Entwicklungshilfe im Kongo.

Rohstoff-Abbau in reiner Handarbeit. Der Unterschied zwischen Kleinbergbau und industriell betriebener Förderung ist frappant. (Kolwezi, 24. Februar 2018/William Clowes, Bloomberg)
Quelle: NZZ

Quellen und links

Ein israelischer Milliardär bringt Glencore in Teufelsküche, Markus Städeli, NZZ 7.7.2018

Kobalt ist die Achillesferse der schönen neuen E-Mobilität, Markus Städeli, NZZ 28.4.2018

über die Demokratische Republik Kongo: wikipedia

über Glencore: wikipedia

Mein smartphone, der Kongo und der Meeresgrund: eine 1-Sicht

fürs Lesen braucht man kein Kobalt
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

über 14 000 Nuklearwaffen in 9 Staaten – SIPRI Jahrbuch 2018

Am Beginn des Jahres 2018 besaßen 9 Staaten geschätzt 14 456 Nuklearwaffen. Das bedeutet einen leichten Rückgang seit Anfang 2017 (14 935). Die 9 Staaten sind: USA, Russland, Vereinigtes Königreich, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel, die Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea).  SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) veröffentlichte diese Zahlen Mitte Juni 2018 im SIPRI Jahrbuch 2018 und in einer Presseinformation.

Der Rückgang geht laut SIPRI hauptsächlich auf USA und Russland und ihren 2010 geschlossenen Vertrag zu Reduktion und Limitierung von Angriffswaffen (Treaty on Measures for the Further Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms – New START) zurück.  Die beiden Länder besitzen zusammen rund 92 Prozent aller Nuklearwaffen. Und beide Länder arbeiten an der langfristigen Modernisierung ihrer Nuklearwaffen, Raketen und Produktionsstätten für Nuklearwaffen. Im aktuellen Nuclear Posture Review (NPR, February 2018) bestätigt USA die Modernisierungsstrategie, deren Ziel es ist, Nuklear- und Nicht-Nuklearangriffe abzuwehren bzw. zu vereiteln.

Die übrigen Nuklearstaaten verfügen über eine deutlich geringere Anzahl an Nuklearwaffensystemen. Aber alle entwickeln neue Systeme oder haben die Absicht bekundet, dies zu tun. Indien und Pakistan erweitern ihr Arsenal an Nuklearwaffen und Raketensystemen. China setzt die Modernisierung und das langsame Erweitern seines Nukleararsenals fort. Nordkorea machte 2017 technische Fortschritte bei der Entwicklung seines nuklearen Leistungsvermögens.

Die nukleare Abrüstung, die 2017 im internationalen Vertrag zum Verbot von Nuklearwaffen als internationales Interesse festgehalten wurde, hält SIPRI-Forscher Shannon Kile für ein fernes Ziel.

Nuklearwaffen, Jänner 2018, Quelle: SIPRI Jahrbuch 2018

Country Deployed Warheads* Other warheads** Total 2018 Total 2017
USA 1 750 4 700 6 450 6 800
Russia 1 600 5 250 6 850 7 000
UK 120 95 215 215
France 280 20 300 300
China 280 280 270
India 130-140 130-140 120-130
Pakistan 140-150 140-150 130-140
Israel 80 80 80
North Korea .. .. (10-20) (10-20)
Total 3 750 10 715 14 465 14 935
* ‘Deployed warheads’: Gefechtsköpfe auf Raketen oder bei Streitkräften 

** ‘Other warheads’: Gefechtsköpfe, die nicht im Einsatz sind, zur Reserve bereit stehen oder demontiert werden.

Die Gesamtzahl enthält im Falle einer Bandbreite die höchste Schätzung. Die Zahlen für Nordkorea sind unsicher und nicht in der Gesamtzahl enthalten. Die Zahlen sind gerundete Schätzungen.

Quellen und links

SIPRI Presseinformation, 18. Juni 2018: Modernization of nuclear weapons continues

SIPRI Jahrbuch

1-sicht 18. Dezember 2017:  Umsätze der Waffenproduzenten erstmals seit 2010 angestiegen

1-sicht 4. Mai 2017: Internationale Waffentransfers – höchster Anstieg seit 1990

1-sicht 29. Februar 2016: Internationale Waffentransfers – Trends

lesen ist besser als Nuklearwaffen schießen
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

1-sicht empfiehlt Lese-, Hör-, Sehstoff: Juni 2018

Lesestoff:
Falter Nr 24a/18

Sie schafften das!

Wo Integration in Österreich besonders gut funktioniert. Eine Reise durch die hilfsbereite Republik

Der Garten der Begegnung in Traiskirchen, das Cafe Namsa in Innsbruck (Namsa – so heißt Österreich auf Arabisch), der Kontaktchor im Ländle, bei dem Christen und Muslime gemeinsam ‚Give Peace a Chance‘ von John Lennon singen, Tea2Stay (statt Coffee2Go) in Pinkafeld.  4 von 28 ausgewählten und in der Falter-Beilage beschriebenen Initiativen, die von Hilfsbereitschaft und Integrationsbereitschaft erzählen.

Hier im E-Book über alle lesen: Sie schafften das!

hilfsbereite

 

 

hilfsbereite Menschen lesen Falter
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

 

Transparenz und freie Rede als Motoren für fake news?

Als sich das Internet Ende des vorigen Jahrhunderts seinen Weg aus der militärischen in die zivile Welt bahnte, frohlockten Enthusiasten über die nun zu erwartende weltweite Entwicklung Richtung Demokratisierung,  Chancengleichheit, faire Märkte, die mit dem Zugang aller Menschen auf alle Daten – vollkommene Transparenz – möglich sein werde. Mittlerweile kann jeder und jede Nachrichten, Bilder, Geschichten, Videos im weltweiten Netz publizieren. Doch statt über mehr Informationen zu verfügen, stehen wir oft vor der Situation, Wahres von Falschem nicht auseinander halten zu können.

Stanley Fish, Jurist, Universitätsprofessor und Buchautor stellt die These auf, dass die Forderung nach vollkommener Transparenz und uneingeschränkter Redefreiheit an diesem Dilemma schuld sei. Den scheinbaren Widerspruch diskutiert er in seinem Beitrag ‚Transparency‘ is the Mother of Fake News in der New York Times vom 7. Mai 2018.

Darf man gegen Transparenz sein?

Die Apostel der freien Rede, so Fish, gingen davon aus, dass mehr davon die Bedingungen für die Menschen besser mache und dass es die Aufgabe der staatlichen Institutionen sei, für ein Mehr an freiem und frei zugänglichem Datenfluss zu sorgen. Aufgeklärten Menschen fällt es schwer, gegen Transparenz zu argumentieren. Fish verweist jedoch darauf, dass Daten erst dann zu Informationen werden, wenn sie interpretiert, in Zusammenhänge gesetzt werden. Rohe Daten sind aussagelos, weder gut noch schlecht.

Interpretieren, in Zusammenhänge setzen muss aber gelernt sein und bestimmten Regeln folgen. Im Journalismus etwa Check und Double-Check, die deutliche Unterscheidung von Bericht und Kommentar/Meinung. In der Wissenschaft Kontrollgruppen, Wiederholbarkeit von Experimenten. In der Justiz Prüfung von Beweisen, Aussagen etc. auf Stimmigkeit. Geschieht dies nicht, so Fish, erzählen wortmächtige Personen ihren Intentionen entsprechende Geschichten und fügen ‚Daten‘ so ein, dass die Geschichten scheinbar belegt werden. Das ist so ziemlich das Gegenteil von auf Daten basierenden Berichten und damit von Transparenz. Manipulationen und Täuschungen sind Tür und Tor geöffnet. Auch wenn einige Internetpropheten es nicht wahrhaben wollen, die Menschen sind von Motiven – nicht immer von edlen – getrieben. Propaganda, Übertreibung, Beleidigung und andere bekannte Ausformungen menschlicher Kommunikation werden nicht verschwinden, nur weil Daten unbeschränkt zur Verfügung stehen.

Fish hält den Dialog, das Diskutieren von Standpunkten für unerlässlich, um sich etwas wie Transparenz, Wahrheit anzunähern, allenfalls Lug und Trug (fake) die Oberhand gewinnen werden. Jenen, die daran glauben, dass die Welt bloß am unausgereiften Datenfluss, an einer unvollendeten Kommunikationsstruktur leide und deshalb staatliche Institutionen nötig habe, dass solche aber in einer vollkommen transparenten Welt hinfällig seien, schreibt Fish ins Stammbuch: „Das Misstrauen gegenüber Mechanismen, die auf gesellschaftlichen Übereinkünften und auf Autoritäten basieren, führt zur bizarren Schlussfolgerung, dass eine Behauptung glaubwürdiger wird, wenn sie keine institutionelle Quelle aufweist. In dieser Logik kann ein Stück Nachricht, dass ein Teenager irgendwo auf der Welt in seinen Blog tippt, als verlässlicher gelten, als die Nachricht eines seriösen Nachrichtenprofis.“

Quellen und links

New York Times, 7. Mai, 2018, Stanley Fish: ‚Transparency‘ Is the Mother of Fake News

Geschichte des Internets, wikipedia

seriöse Zeitungen tragen zur Transparenz bei
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

My Personality – Persönlichkeitstests sammeln persönliche Daten

Sie wollen wissen, welches Tier Sie wären, wären Sie ein Tier? Oder welche Charaktereigenschaft Ihre hervorstechendste ist? Machen Sie mit bei einem Quiz auf Facebook. Sie werden erfahren, dass Sie zum Beispiel ein zitronengelber Falter wären. Oder Willensstärke Ihre Persönlichkeit auszeichnet. Die Entwickler der Quiz-App werden noch viel mehr über Sie erfahren, denn um zu der erhellenden Erkenntnis zu gelangen, ein zitronengelber Falter zu sein, geben Sie etliche persönliche Angaben preis und teilen die Erkenntnis Freundinnen und Freunden via social media mit. Vorausgesetzt, Sie nehmen den Quiz ernst. Was offensichtlich viele Menschen tun.

My Personality

My Personality war die erste Quiz-App, die auf diesem vergleichsweise einfachen Weg Persönlichkeitsdaten schürfte. Mussten Forscherinnen und Forscher, die das menschliche Verhalten untersuchten, in prä-social-media-Zeiten mühsam Menschen finden, die sich für Verhaltensforschung zur Verfügung stellten, liegen die Daten in der social-media-Welt gleichsam neben dem Weg. 2007 erkannte dies der damalige stellvertretende Direktor des Zentrums für Psychometrie an der Cambridge Universität, Michal Kosinksi. Er entwickelte My Personality und häufte mittlerweile Details von über 6 Millionen Facebook-Usern an. Andere Wissenschafter folgten. Zum Beispiel Alexandr Kogan, Psychologieprofessor an der Cambridge Universität. Er sammelte Daten. Und er verkaufte Daten von bis zu 87 Millionen Facebook-Usern an das Politikberatungsinstitut Cambridge Analytica, das ein Naheverhältins zum Wahlkampfteam von Donald Trump hatte und – so die Schlussfolgerung – das den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl 2016 massiv steuerte, indem dank detaillierter Kenntnis der einzelnen WählerInnen passgenaue individuelle Botschaften gesendet wurden (Mikrotargeting).

Im März 2018 deckten New York Times und Observer of London den Datenhandel auf. Seither sieht sich Cambridge Analytica mit Klagen überhäuft und hat die Geschäftstätigkeit eingestellt.

Scraper – automatisch Daten schürfen

Im Juli 2014 startete ein Team aus schwedischen und polnischen Forschern mittels Programm (scraper), Kommentare und Interaktionen von 160 öffentlichen Facebook-Seiten automatisch aufzuzeichnen. Im Mai 2016 verfügten sie über genügend Informationen, um das Verhalten von 386 Millionen Facebook-Mitgliedern zu kennen. Einer der Forscher dieses Teams, Fredrik Erlandsson, Lektor am Blekinge Technologie-Institut, zeigt sich besorgt, wie leicht das Sammeln der Daten mittels scraper möglich ist. Das Team veröffentlichte seine Erfahrungen und Einschätzungen im Dezember 2017 im Journal Entropy. Die Resonanz war mäßig. Nach Bekanntwerden des Datenhandels zwischen Universität und Politikberatungsinstitut im März 2018 verzeichnete Erlandsson gesteigertes Interesse.

Es ist davon auszugehen, dass im vergangenen Jahrzehnt zahllose Forschungsgruppen, Doktoranden, aber auch Meinungsforscher und Werber Persönlichkeitsdaten via social media geschürft haben. Selbst wenn Forscher höchst seriös an der Anonymisierung arbeiten, wird es immer undichte Stellen geben, konstatiert Rasmus Kleis Nielsen, Professor für politische Kommunikation an der Oxford Universität. Zudem: Je mehr Daten angehäuft wurden, desto leichter ist es, einen Datensatz mit einem zweiten zu verbinden und das Individuum zu identifizieren. Bereits 2015 veröffentlichte das Journal Science, dass mit nur 4 zufälligen Informationen aus social media 90% der Online-Käufe mittels Kreditkarte der Person zugeordnet werden konnten.

Forscher sitzen auf Datenbergen

Times überprüfte zahlreiche Datensets, die von Forschungseinrichtungen angehäuft wurden. Zum Beispiel:

2008: Deutsche AkademikerInnen sammelten Daten von 60.000 Facebook-Usern. Die Fragestellung lautete: Wie verändern sich online-Freundschaften im Laufe der Zeit?

2013: Eine norwegische Forschergruppe fokussierte auf das gesellschaftliche Engagement von 21 Millionen Facebook-Nutzern auf 4 Kontinenten.

2015 – 2017: Dänische und neuseeländische ForscherInnen untersuchten 1,3 Millionen Menschen in Dänemark. Die Fragestellung lautete: Lässt sich das Wahlverhalten einer Person, die eine politische Partei auf Facebook liked, vorhersagen?

Privatsphäre auf Facebook?

Zwar gab sich Facebook eine Richtlinie, die das Nutzen von scraper-Programmen untersagt. Doch gegenüber Forschungseinrichtungen kam diese nicht zur Anwendung. 2014 limitierte das Netzwerk den Zugang von Apps fremder Anbieter. Nach der Veröffentlichung des Datenhandels ermöglicht das Netzwerk den Usern mehr Kontrolle über die Privatsphäre-Einstellungen. Auch der Zugang für ForscherInnen soll eingeschränkt werden. Dies evoziert wiederum Kritik. Rasmus Kleis Nielsen sieht die Gefahr der Asymmetrie. ForscherInnen innerhalb des Netzwerkes akkumulieren Informationen, die unabhängigen Universitäten verwehrt bleiben.

Es bleibt die Frage: Was passiert mit den persönlichen Informationen und wie und von wem kann der Umgang geregelt werden?

Michal Kosinski, Entwickler von My Personality: „Was Kogan getan hat, war falsch. Aber was Kogan getan hat, tun andere in größerem Ausmaß. Sie werden nur nicht erwischt.“

Quellen und links

New York Times, Scholars Have Data on Millions of Facebook Users. Who’s Guarding it?, Sheera Frenkel, 9. Mai 2018

über Cambridge Analytica auf wikipedia

Journal Entropy, Do we really need to catch them all?, Fredrik Erlandsson, Piotr Brodka, Martin Boldt, Henric Johnson, Dezember 2017

1-sicht,  Der Milliardär Robert Mercer und sein Propagandanetzwerk

1-sicht, Facebook: Wenn user sich für Kunden halten

lesen ist besser, als bei My Personality mitmachen
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

1-sicht empfiehlt Lese-, Hör-, Sehstoff: April 2018

Das Internet, zwar zu militärischen Zwecken entwickelt, versprach, als es sich von der Welt der Militärs emanzipiert hatte, Transparenz, vollständige Information für alle und eine demokratischere Gesellschaft weltweit. Mittlerweile ist die Nachrichtenlage im Netz mehr als undurchsichtig und  Kriminalität hat sich von der realen Welt in den Cyberspace verlagert. Marc Goodman, der einer der profiliertesten Experten in Fragen der Cybersicherheit ist und als solcher für das FBI arbeitet, gibt Einblicke:

Lesestoff:
Global Hack
Marc Goodman

Global Hack
Hanserverlag: Global Hack

 

Marc Goodman: TED-Konferenz 

 

April Empfehlung
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Facebook: Wenn User sich für Kunden halten

Mark Zuckerberg hat eine Vision: Er will es uns ermöglichen, uns zu Gemeinschaften zusammenzufinden. Er entwickelt dafür eine Plattform: Facebook. Er stellt sie den Gemeinschaftssuchenden gratis zur Verfügung.

Manche nennen das Geschäftsmodell. Sogar Geschäftsmodell aller Geschäftsmodelle, denn die Plattform generiert den für den modernen Markt notwendigen Treibstoff – Personendaten – kostenlos.

Mit knapp 70 Aktionen auf Facebook (likes, shares, Kommentar etc.) wissen die Algorithmen dieses sozialen Mediums mit sehr hoher Treffsicherheit, ob diese Aktion von einem weißen oder schwarzen Mann, einer jungen oder alten Frau, einem Menschen mit homo- oder heterosexueller Neigung, Vorliebe für Langhaar- oder Kurzhaarschnitte etc. getätigt wurden.

Facebook bemüht sich darüber hinaus, seine Menschenkenntnis zu erweitern, und greift auf Daten außerhalb des eigenen Netzwerkes zu. Selbstlos erwirbt es weiters Informationen bei alteingesessenen Datenhändler, wie Acxiom, das in der Zeit von Adress- und Telefonnummernhandel groß wurde, oder Transunion und Experian, Wirtschaftsauskunfteien mit Fokus auf Kredit- und Gesundheitsindustrie.

Getreu der Vision, Menschen die Gemeinschaftsbildung zu ermöglichen, stellt Facebook seine Menschenkenntnis Unternehmen zur Verfügung, damit diese in gewinnbringende Beziehungen treten können.

Und nun steht Zuckerberg weltweit in der Kritik. Vor dem US-Kongress muss er Rede und Antwort stehen. Der knapp 34-Jährige immer noch jungenhaft wirkende Multimilliardär tauscht legeren Pullover gegen Anzug und Krawatte und zeigt sich reumütig. Er habe, so sein Eingeständnis, zu wenig darauf geachtet, dass die Daten der gemeinschaftssuchenden Menschen Facebooks Geheimnis bleiben. Es sei seine Schuld, nicht verhindert zu haben, dass diese in die Hände respektive Rechner und Algorithmen einer politischen Beratungsfirma gerieten. Diese hat die facebooksche Menschenkenntnis genutzt, um den US-Wahlkampf (2016) sowie die Abstimmung in Großbritannien über Verbleib in oder Verlassen der EU (2015) zu beeinflussen. Ihr Name: Cambridge Analytica.

2018 wissen wir längst, wie die Entscheidungen hüben wie drüben des Atlantik ausgefallen sind. Donald Trump ist Präsident der USA, die Briten votierten für den Austritt aus der EU (Brexit). Trump wie Nigel Farage, Promotor der Brexit-Kampagne, warben ganz gezielt für ihr jeweiliges Anliegen. Wobei Ziel nicht mehr Zielgruppen waren, Einheiten von Personen, die nach Alter, Einkommen, Sinus-Milieu oder sonst einem Merkmal oder Merkmalmix zusammengefasst wurden. Ziel war das Individuum (Mikrotargeting). Die von Cambridge Analytica auf Basis der Datenspuren, die man in Facebook und dessen sozialen Geschwistern wie Instagram, Whatsapp, Masquerade etc. hinterlässt, entwickelten Persönlichkeitsprofile hielten dem Realitätstest offensichtlich Stand, die punktgenaue Werbung und Argumentation, abgeleitet aus den persönlichen Einstellungen und Vorlieben der Person, fruchtete.

Es ist Zeit zu begreifen, dass man als Nutzer der sozialen Medien nicht Kunde, sondern Produkt ist. Man zahlt ja auch kein Geld für deren Nutzung.

Quellen und links

Wer sind die Datenhändler, von denen sich Facebook zurückzieht? Neuer Zürcher Zeitung NZZ

Facebook verfolgt seine Nutzer auf Schritt und Tritt. Neuer Zürcher Zeitung, NZZ

Global Hack, von Marc Goodman

Mit dem OCEAN-Modell im big-data-Ozean fischen, 1-sicht

Lesen ist besser, als auf Facebook zu posten.
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Auf der Flucht

Am Morgen des 15. März.
“ Der Himmel war glasgrün und wolkenlos, die Sonne flimmerte auf dem Firnschnee, als der Zug die Schweizer Grenze passierte.“

Was wie der Beginn eines Urlaubsberichtes klingt, ist das kurze Aufatmen eines Menschen auf der Flucht. Er flieht vor den neuen Machthabern seines Heimatlandes Deutschland. Sie verbieten es ihm, seinen Beruf auszuüben, weil er von ‚falscher Rasse‘ ist. Er flieht aus seinem neuen Wohnort Wien, weil er fürchten muss, aus dem nämlichen Grund verhaftet zu werden und weil man seine Wohnung plündert.

In Wien war er in den Direktzug nach Zürich eingestiegen. In Innsbruck muss er auf Befehl eines Kontrollors aussteigen, weil in seinem Pass ‚Schriftsteller‘ als Berufsbezeichnung vermerkt ist. Im Polizeigebäude erteilt man ihm Sprechverbot. Er muss stundenlang warten, bevor er weiterfahren darf.

Im Grenzbahnhof Feldkirchen müssen er und alle Reisenden aussteigen. Ihr Gepäck wird von Beamten auf Geld- und Wertgegenstände untersucht. Sie dürfen höchstens 20 Schilling oder 10 Mark mitnehmen, Juden müssen ihre Wertgegenstände zurücklassen. Sie müssen sich einer Leibesvisitation unterziehen.

Die Orden an seinem Revers zeichnen ihn aus als Kämpfer für sein Heimatland, das ihm nunmehr verbietet, seinen Beruf auszuüben. Sie beeindrucken den diensthabenden Offizier, der von der Leibesvisitation absieht und statt dessen mit ihm ein Glas Rotwein im Bahnhofsrestaurant trinkt.

Tags darauf erreicht er die Schweiz. Später wird er schreiben: „Ich saß in einem Zug und er ging nicht nach Dachau.“

Er ist nicht der einzige, der in der Schweiz Rettung sucht. 3000 bis 4000 andere tun dies auch. Für Tausende, vielleicht Zehntausende ist die Schweiz Transitland. Er hätte zurück geschickt werden können, denn er hat kein Visum. Die Einreiseüberprüfung erfolgt jedoch nur flüchtig. Die Grenzwächter wissen, was in Österreich passiert. Aus den Augen der Reisenden spricht die Angst, zurückgeschickt zu werden; sie sind überrascht, wieder einmal anständig angesprochen zu werden, notiert ein Grenzbeamter.

In Zürich kann er wieder seinem Beruf als Schriftsteller nachgehen. Doch auch Zürich wird in seinem Leben eine Zwischenstation sein. Als ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt wird, verlässt er Europa.

Im Mai 1939 emigriert Carl Zuckmayer, der deutsche Dramatiker, dessen Mutter aus einer jüdischen Familie stammt, in die USA – 6 Jahre nach seiner Flucht aus Deutschland, 14 Monate nach seiner Flucht aus Österreich. 1946 kehrt er als amerikanischer Staatsbürger in die Schweiz zurück.

Quellen und links

Er will dem „Hexensabbat des Pöbels“ entkommen – und flieht in die Schweiz, NZZ, 12.3.2018

über Carl Zuckmayer: wikipedia

Gemütlich zu lesen ist besser, als auf der Flucht sein zu müssen.
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Krieg? Friede? Etwas Drittes?

Was seit dem Westfälischen Frieden von 1648 eindeutig war, ist es seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr. Mit dem Westfälischen Frieden, der den 30jährigen Krieg beendete, setzte man auf eine klare Binarität: Entweder es war Friede. Oder es war Krieg, der von einer Partei einer anderen erklärt wurde. Damit sollte auf immer verhindert werden, dass neben militärischen Einheiten auch Zivilbevölkerung in die Kampfeshandlungen hineingezogen wird.

Wie Herfried Münkler in der NZZ vom 16.2.2018 im Artikel ‚Der Friede ist so zerbrechlich wie nie‘ ausführt, zerstörten die Gewaltakte des 2. Weltkrieges, sowohl jene der Nationalsozialisten im Osten als schließlich auch jene der Alliierten, diese Kriegsordnung. Die Zivilbevölkerung wurde schonungslos in die Kriegshandlungen hineingezogen, war strategische Zielscheibe von Kriegshandlungen. Die Nachkriegsordnung kehrte nur eingeschränkt zum Entweder-Oder-Prinzip zurück.

Münkler nennt weitere Beispiele für die Aufhebung der eindeutigen Trennung von Krieg und Frieden.

Entkolonialisierungs- und Befreiungskriege

In Ostasien, Südostasien, dem Nahen Osten und Afrika fanden Kriege statt, die mit der Entstehung weiterer gleichberechtigter Staaten endeten, die von den Vereinten Nationen als neue Mitglieder anerkannt wurden. Somit kann gesagt werden, dass diese Kriege eine Legitimierung erfahren haben. Man wähnte sich in einer Übergangsphase nach deren Ende es nie wieder zu Krieg kommen sollte.

Diese Annahme galt einigen Akteuren auch als Rechtfertigung, 1989/90 gegen den Irak kriegerisch vorzugehen, nachdem dieser Kuwait besetzt und annektiert hatte.

Auch in den Kriegen am Balkan, im Kaukasus, im subsaharischen Afrika, in Zentralasien und im Nahen Osten sowie nicht zuletzt in der Ostukraine sieht Münkler eher Zeichen dafür, dass die vorwestfälischen Konstellationen zurückgekehrt sind.

Hybride Kriegsführung und transnationaler Terrorismus

Ebenso unklar in der Definition – und daher in den Möglichkeiten der Reaktion im Rahmen des internationalen Rechts – sind jene Kampfaktionen, wo beispielsweise Soldaten eines Landes ohne Hoheitszeichen auf fremdem Territorium agieren. Münkler nennt die Kriegsführung Putins als Beispiel für derartige sogenannte hybride Kriegsführung.

Und wie stuft man transnationalen Terrorismus ein? Handelt es sich um einen kriminellen Akt oder um Krieg? Die Antworten darauf – zumeist in rascher Eile und bei unvollständiger Information zu geben – haben weitreichende Konsequenzen. Die Anschläge auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 wurden vom damaligen US-Präsidenten G.W. Bush als Kriegserklärung aufgefasst, die darauffolgende Intervention in Afghanistan wuchs sich zu einem Krieg aus, der bis heute andauert (‚war on terror‘). Auch die Terroranschläge in Paris im November 2015 führten zur Aussage des damaligen französischen Präsidenten F. Hollande, man sei im Krieg, und zu Luftwaffenangriffen auf IS-Positionen in Syrien.

Gebannt wurde die terrroristische Gefahr allerdings in beiden Fällen durch Vorgehen nach dem Kriminalitätsparadigma: Osama bin Laden, der politisch Verantwortliche der Terroranschläge in New York wurde bei einer US-Kommandoaktion auf pakistanischem Staatsgebiet getötet. Und die belgische Polizei hob die Terrorzelle im Brüsseler Stadtteil Molenbeek aus.

Cyberwar

Wie geht man mit der vergleichsweise neuen Gefahr des Cyberwars um? Wie stuft man Attacken auf die digitale Infrastruktur von Staaten ein? Im Unterschied zu klassischen militärischen Angriffen ist nicht sogleich klar, wer die Angreifer sind. Oft ist die Verantwortlichkeit auch später nicht zweifelsfrei nachweisbar. Die Nato stuft im Tallinn Manual Cyberattacken unterhalb eines Cyberwars ein, um den Eintritt des Bündnisfalles zu verhindern. Andernfalls würde der Krieg physische Gestalt annehmen. Was aber, wenn Cyberattacken auch physische Folgen haben? Sind diese dann als Kriegshandlung mit all ihren Folgen ihrerseits einzustufen?

Die Konstellationen sind hochgradig konfliktär, Antworten stehen noch aus. Der Friede ist so zerbrechlich wie nie.

Quellen und links

NZZ, 16.3.2018, ‚Der Frieden ist so zerbrechlich wie nie‚, Herfried Münkler

Westfälischer Friede, wikipedia

Hybridkrieg, wikipedia

Tallinn Manual, wikipedia

Krieg in Afghanistan, wikipedia

Lesen statt Krieg führen
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand