Stumpft Europa ab? 2016 schon 2.400 tote Flüchtlinge im Mittelmeer

‚Flüchtlinge – das tödlichste Jahr‘ (Zeit online, 31.5.2016)

‚Ertrunkene Flüchtlinge: Helfer bergen Babyleiche im Mittelmeer‘ (Spiegel online, 30.5.2016)

‚IOM warnt – Zahl der ertrunkenen Flüchtlinge stark gestiegen‘ (MIGAZIN, 15.2.2016)

Schlagzeilen wie diese gehören mittlerweile zum Alltag in europäischen Medien. Haben wir uns daran gewöhnt? In seinem Kommentar für Spiegel online am 31.5.2016 konstatiert Maximilian Popp, dass die Menschen in Europa von dem mannigfachen Sterben im Mittelmeer nicht mehr berührt werden.

Ertrunkene Babys: zwei ähnliche Fotos – sehr unterschiedliche Reaktionen

Das eine Foto zeigt das tote Flüchtlingskind Alan Kurdi. Die türkische Journalistin Nilüfer Demir veröffentlichte es im September 2015. Es löste weltweite Reaktionen aus, sowohl in der Zivilgesellschaft als auch in der Politk.  Zum Beispiel – so Popp – brach der kanadische Migrationsminister seinen Wahlkampf für eine Krisensitzung ab und Ahmet Davutoglu, damals türkischer Regierungschef, drängte die Europäer zur Zusammenarbeit in der Asylpolitik.

Das andere Foto zeigt einen Flüchtlingshelfer auf einem Boot im Mittelmeer, im Arm ein totes Baby. Die Organisation Sea-Watch veröffentlichte es im Mai 2016. Keine Politikerin, kein Politiker äußerte sich bislang dazu.

Nach Schätzungen seien in den vergangenen 15 Jahren mindestens 30.000 Menschen auf der Flucht nach Europa gestorben. IOM (International Organization for Migration) zählte allein für 1. Jänner bs 29. Mai 2016 über 2.440 Tote oder Vermisste. Die EU – Friedensnobelpreisträgern 2012 – schottet sich ab. Und sieht dem Sterben zu?

Das schlimmste Jahr im Mittelmeer?

Grafik: Zeit online, 31.5.2016, Sascha Venohr; Quelle: IOM Stand: 30.Mai 2016
Grafik: Zeit online, 31.5.2016, Sascha Venohr; Quelle: IOM Stand: 30.Mai 2016

Zum Abschluss eine weitere Schlagzeile:

Mittelmeer: Statistik des Schreckens‚ (www.unhcr.de)

Der Artikel ist vom 2.10.2014. Er beginnt wie folgt:

Neue Daten zeigen einen alarmierenden Anstieg von irregulären Überfahrten über das Mittelmeer nach Europa im dritten Quartal 2014.

Danach haben auf diese Weise 90.000 Menschen Europa zwischen dem 1. Juli und 30. September 2014 erreicht, mindestens 2.200 Menschen starben bei dem Versuch. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum des Vorjahres wurden 75.000 Menschen und 800 Tote gezählt. Mit anderen Worten: Das Risiko, sein Leben bei der gefährlichen Überfahrt zu verlieren, hat sich statistisch gesehen verdoppelt.

Quellen und links

Zeit online, 31.5.2016: Flüchtlinge – das tödlichste Jahr

Spiegel online, 31.5.2016: Flüchtlingsdrama im Mittelmeer – abgestumpft

Spiegel online, 30.5.2016: Ertrunkene Flüchtlinge: Helfer bergen Babyleiche im Mittelmeer

MIGAZIN, 15.2.2016: IOM warnt – Zahl der ertrunkenen Flüchtlinge stark gestiegen

International Organization for Migration (IOM)

UNHCR, 2.10.2014: Mittelmeer – Statistik des Schreckens

Friedensnobelpreis für EU auf 1-sicht

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Menschenrechte – Artikel 12: Schutz der Privatsphäre

Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.

Erläuterungen zu Artikel 12: Schutz der Privatsphäre

Laut Menschenrechtsplattform humanrights.ch dient diese Bestimmung dem Schutz der Privatsphäre und bestimmt, dass Einschränkungen derselben nicht willkürlich sein dürfen sondern auf einem Gesetz beruhen müssen, das selbst nicht ungerecht ist.

Zum Privatleben gehört demzufolge

  • die Identität – unter anderem Name, Kleidung, Haartracht, Gefühle und Gedanken
  • die Integrität – was etwa eine medizinische Behandlung gegen den Willen der Betroffenen ausschliesst
  • die Intimität – wie etwa die Geheimhaltung privater Eigenschaften und Handlungen, der Schutz des eigenen Bildes vor Veröffentlichung oder der Schutz vor Weitergabe personenbezogener Daten
  • die Kommunikation – zum Beispiel die Aufnahme und Entwicklung von Beziehungen zu anderen Leuten
  • die Sexualität. Hier darf der Staat allerdings zum Schutze bestimmter Personengruppen, etwa von Kindern, Einschränkungen wie z.B. ein Mindestalter vorschreiben.

Eingriffe in das Grundrecht des Schutzes auf Privatsphäre stellen zum Beispiel Hausdurchsuchungen oder elektronische Überwachungsmaßnahmen dar.

Quellen und links

Amnesty International

Informationsplattform humanrights.ch

Über Menschenrechte auf 1-sicht

Über Menschenrechte auf 1-sicht

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Nadia Murad: eine der 100 einflussreichsten Personen

Alljährlich kürt das Magazin TIME die seiner Einschätzung nach einflussreichsten Persönlichkeiten – dieses Jahr veröffentlicht in der Ausgabe vom 2. – 9. Mai 2016. Ernannt sind Frauen und Männer in den Kategorien

  • Pioniere
  • Titanen
  • Künstler
  • Führungspersönlichkeiten
  • Ikonen

Die jeweils Erstgenannten sind

  • Pioniere: Lin-Manuel Miranda, 36 Jahre, Broadway Star.
  • Titanen: Priscilla Chan und Mark Zuckerberg, beide 31 Jahre, Philantropen
  • Künstler: Priyanka Chopra, 33, Schauspielerin
  • Führungspersönlichkeiten: Christine Lagard, 61 Jahre, IWF
  • Ikonen: Leonardo Dicaprio, 41 Jahre, Schauspieler und Umweltschützer

Nadia Murad – eine Zeugin der Kriegsgräuel in Syrien

Nadia Murad ist in der Kategorie Pioniere genannt.  Die Angehörige der Jesiden   hat trotz ihrer erst 23 Jahre eine unvorstellbare Leidensgeschichte als mehrfaches Opfer des Kriegsgeschehens in Syrien erlebt. Mit 19 Jahren verlor sie ihr Zuhause, ihr Land, ihre Kultur. Ihre Mutter wurde ermordet und sie musste mit ansehen, wie männliche Verwandte umgebracht wurden. Sie selbst wurde entführt, verkauft und ungezählte Male von ISIS-Mitgliedern vergewaltigt.

Nun reist sie um die Welt, um diese auf den Genozid, der an ihrem Volk begangen wurde und begangen wird, aufmerksam zu machen. 3000 Jesidinnen sind immer noch in Gefangenschaft der ISIS.

2015 sprach Murad in New York im Rahmen des ersten Treffen des UN Sicherheitsrates betreffend Menschenhandel und erzählte ihre persönliche Geschichte.

Nun, da Europa seine Grenzen gegenüber terrorisierten Flüchtlingen schließt und auch die USA sich abwendet – vergessend, dass es der US-geführte Krieg im Irak war, der ISIS groß machte; dass es zurückgelassene US-Waffen sind, die in die Hand von ISIS gelangten – zählt Nadia Murad zu den wichtigen Stimmen, die auf die Verantwortung der Welt gegenüber dem jesidischen Volk aufmerksam machen.

Quellen und links

TIME, 2.-9 Mai 2016; Der   Beitrag „Nadia Murad: A witness for war’s victims“ ist von Eve Ensler, Dramatikerin und Schriftstellerin, und hier in zusammengefasster Übersetzung wiedergegeben.

Über Jesiden auf wikipedia

Über Sklaverei auf 1-sicht

Über Eve Ensler auf wikipedia

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1-sicht empfiehlt Lese-, Hör-, Sehstoff: Mai 2016

Lesestoff:
Norbert Reuter: Wachstumseuphorie und Verteilungsrealität

„Wirtschaftspolitische Leitbilder zwischen Gestern und Morgen“ bietet die 2007 in zweiter Auflage erschienene Sammlung ökonomischer Essays WACHSTUMSEUPHORIE UND VERTEILUNGSREALITÄT, erarbeitet und zusammengestellt von Norbert Reuter.

Texte von John Maynard Keynes und Wassily W. Leontief scheinen aktueller denn je. Reuters datenbasierte Analysen legen schlüssig nahe, dass das Wachstumscredo abzulösen ist. Wachstum löst wirtschaftliche Probleme in bestimmten Phasen, Entwicklungsstadien von Volkswirtschaften, in anderen Phasen braucht es andere Rezepte.

Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder, Essay von J. M. Keynes

1-sichts Textfavorit „Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder“ von J.M. Keynes, erstmals 1928 als Rede gehalten, 1930 zu einer Vorlesung  erweitert, beginnt mit einer Feststellung, die auch in diesen Tagen auf Zustimmung treffen dürfte:

Wir leiden gerade unter einem schweren Anfall von wirtschaftlichem Pessimismus. Sehr häufig hört man die Leute sagen, dass die Epoche des enormen wirtschaftlichen Fortschrittes, ……, nun vorüber sei; …. ; dass ein Rückgang des Wohlstandes in dem vor uns liegenden Jahrzehnt wahrscheinlicher sei als eine Steigerung.

Und weiter:

Nun ist es wahr, dass die Bedürfnisse der Menschen unersättlich zu sein scheinen. Aber sie zerfallen in zwei Klassen – solche Bedürfnisse, die absolut in dem Sinne sind, dass wir sie fühlen, wie auch immer die Situation unserer Mitmenschen sein mag, und solche, die relativ in dem Sinne sind, dass wir sie nur fühlen, wenn ihre Befriedigung uns über unsere Mitmenschen erhebt, uns ein Gefühl der Überlegenheit gibt.

Keynes regt an, den „Geldtrieb“, die Akkumulation von Reichtum zu hinterfragen und nach seinem wahren Wert einzuschätzen: „als Liebe zum Geld an sich oder als Liebe zum Geld als einem Mittel für Freuden und wirklichen Dinge des Lebens.“

Quellen und links

Metropolis-Verlag, Marburg 2007: Wachstumseuphorie und Verteilungsrealität

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Menschenrechte – Artikel 11: Unschuldsvermutung

1. Jeder, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange seine Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, indem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.
2. Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine schwerere Strafe als die zum Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.

Erläuterungen zu Artikel 11: Unschuldsvermutung

Laut der Menschenrechtsplattform humanrights.ch hält Artikel 11 der Allgemeinen Menschenrechte die Unschuldsvermutung fest, das heißt, jemand, der eines kriminellen Vergehens beschuldigt wird, hat so lange für unschuldig zu gelten, bis seine Schuld tatsächlich nachgewiesen ist. Weiters hält Artikel 11 das Recht auf Verteidigung, auf ein öffentliches Verfahren und den Grundsatz ‚Keine Strafe ohne Gesetz‘ fest.

Verfahrensrechte

Sowohl in Strafrechtsfällen als auch in zivilrechtlichen Auseinandersetzungen gelten Verfahrensrechte, insbesondere:

Allgemeine Grundsätze
  • Recht auf ein faires Verfahren, insbesondere Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung
  • Recht auf Beurteilung durch ein zuständiges unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht
  • Recht auf eine öffentliche Verhandlung und Urteilsverkündung
  • Unschuldsvermutung: Angeklagte Person gilt als unschuldig, solange kein Schuldspruch des Gerichts vorliegt
  • Keine Strafe ohne Gesetz; insbesondere Verbot rückwirkender Strafgesetze
  • Gericht und Behörden müssen alles unterlassen, was den Ausgang des Verfahrens zu Lasten der angeklagten Person beeinflussen könnte
  • Beweislast liegt bei der Anklage
  • Bei Zweifel ist der Angeklagte freizusprechen („in dubio pro reo“)
Rechte Angeschuldigter vor und während des Gerichtsverfahrens
  • Recht auf Information über die erhobene Anklage
  • Recht auf ausreichende Zeit und Gelegenheit für die Vorbereitung der Verteidigung
  • Recht auf ein Urteil ohne unangemessene Verzögerung
  • Recht auf Verteidigung
  • Recht auf Beizug eines Dolmetschers
  • Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen
  • Recht auf Überprüfung eines Strafurteils durch eine höhere Gerichtsinstanz
  • Recht auf Entschädigung bei einem Fehlurteil
  • Verbot der Doppelbestrafung für dieselbe Tat

Quelle: Informationsplattform humanrights.ch

Quellen und links

Amnesty International

Informationsplattform humanrights.ch

Verfahrensrechte – humanrights-Plattform

Über Menschenrechte auf 1-sicht

Über Menschenrechte auf 1-sicht

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Wie können wir unsere freiheitliche Staatsform, unsere Freiheit schützen?

Die Anschläge in Brüssel auf U-Bahn und Flughafen am 22. März 2016 lassen uns einmal mehr entsetzt und ratlos zurück. Politikerstellungnahmen – so kommentiert es Rolf Clement in seinem Artikel „Terror-Prävention –  Mehr Freiheit durch mehr Überwachung“ auf Deutschlandfunk.de – klingen nach derartigen Ereignissen stets gleich. Und sie hätten Recht: „Ja, es ist ein Anschlag auf unsere Lebensweise, auch auf Europa, es ist ein gemeiner hinterhältiger Anschlag,“

Spannungsverhältnis Freiheit : Sicherheit

Was sind die Konsequenzen? Eine nicht neue Forderung sei, den Informationsaustausch zwischen den Ländern zu verbessern. Dies scheitere unter anderem an den unterschiedlichen sicherheitstechnischen Kulturen in den Ländern. Die einen, so Clement, lösen das Spannungsverhältnis zwischen einer eher freiheitlichen Staatsorganisation und dem Vorrang für Sicherheit zu Gunsten der Sicherheit auf, andere – wie Deutschland – eher zu Gunsten der Freiheit.

Um gefährdete Bereiche gezielter schützen zu können, sei es zudem notwendig, über ausreichend und ausreichend gut ausgebildete Sicherheitskräfte zu verfügen. Es klinge paradox, aber nur so können wir die freiheitliche Staatsform erhalten. Clement weist aber auch darauf hin, dass unser Verhalten, dass die Terrorvorsorge nicht bereits erste Erfolge der Terroristen sein dürfen, indem die Gesellschaften weniger frei werden. Die aktuellen Sorgen vor weiteren Anschlägen seien berechtigt, sie dürfen allerdings nicht zum beherrschenden Maßstab unseres Handelns werden. (Quelle: deutschlandfunk.de)

Quellen und links

Deutschlandfunk 22.3.2016

Was zeichnet eine offene Gesellschaft aus – 1-sicht

Friedensforschung und Terrorismusindex – 1-sicht

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1-sicht empfiehlt Lese-, Hör-, Sehstoff: März 2016

Lesestoff:
Navid Kermani: Einbruch der Wirklichkeit

Auf dem Flüchtlingstreck durch Europa

Im Auftrag des SPIEGEL bereisten der Schriftsteller Navid Kermani und der Magnum-Fotograf Moises Saman eine der großen aktuellen Flüchtlingsrouten in entgegengesetzter Richtung: von Budapest bis Izmir. Die Reportage erweiterte er für das im C.H. Beck-Verlag erschienene Buch.

In seiner bewegenden Reportage berichtet er davon, warum die Welt der Krisen und Konflikte, die wir weit vor den Toren Europas wähnten, plötzlich auch unsere Welt ist.

(Buchdeckel der 3. Auflage 2016)

NavidKermani_EinbruchderWirklichkeit
„Gegenüber der Nordküste von Lesbos, in der Türkei. liegt das antike Assos, das heute ein malerisches Fischerdorf mit einigen hübschen Hotels und Restaurants ist. In dem kaum besiedelten Küstenstreifen um Assos herum stiegen die meisten Flüchtlinge ins Schlauchboot, die an meiner Veranda vorbeiliefen.“ So beginnt Kermani das Kapitel ‚Der menschliche Instinkt‘.
Lesbos Island, Greece. September 29, 2015.A refugee waves to indicate a safe landing area to an approaching inflatable raft as it approaches the shores of Lesbos island in Greece. They had traveled from Assos, Turkey, in inflatable rafts to reach the European Union in the hopes of being granted asylum. (Photo by Moises Saman/MAGNUM)
Lesbos Island, Greece. September 29, 2015.A refugee waves to indicate a safe landing area to an approaching inflatable raft as it approaches the shores of Lesbos island in Greece. They had traveled from Assos, Turkey, in inflatable rafts to reach the European Union in the hopes of being granted asylum. (Photo by Moises Saman/MAGNUM)

Quellen und Links

C.H.Beck-Verlag

Navid Kermani – Beck-Verlag

Navid Kermani – wikipedia

Moises Saman – magnum

Der Weg, über den die Welt nach Deutschland flieht – DIE WELT

Hörstoff
Uta Köbernick: Zäune bauen

Der Song war bereits im Oktober 2015 1-sichts Hörempfehlung. Der Aktualität des Zäunebauens ist es u.a. geschuldet, dass er wieder empfohlen wird.

Uta Köbernick – wikipedia

 

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1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Menschenrechte – Artikel 10: Anspruch auf gerechtes Verfahren

Jeder hat bei der Feststellung seiner Rechte und Pflichten sowie bei einer gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Beschuldigung in voller  Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht.

Erläuterungen zu Artikel 10: Anspruch auf gerechtes Verfahren

Die Informationsplattform humanrights.ch  schreibt dazu erläuternd:

Artikel 10 befasst sich mit grundlegenden Ansprüchen in Rechtsverfahren, und zwar nicht nur in Kriminalfällen, sondern auch in zivilrechtlichen Auseinandersetzungen, in denen eine Person gegen eine andere klagt. Ziel des Artikels ist eine gerechte Anhörung aller Personen, die vor einem Gericht erscheinen, durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht. Jedermann soll eine faire Chance bekommen, seinen Fall vorzubringen und gerecht beurteilen zu lassen.

Quellen und links

Amnesty International

Informationsplattform humanrights.ch

Über Menschenrechte auf 1-sicht

Über Menschenrechte auf 1-sicht

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1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Über Herausforderungen und Chancen der aktuellen Migrationen – Beitrag 1

Zu den Flucht- und Wanderbewegungen sind bereits einige 1-sichten online. Diese und 2 folgende betrachten das Phänomen aus philosophischen Perspektiven.

Im Dossier ‚Was tun?‘ des Philosophie Magazins vom Februar 2016 kommen 27 Frauen und Männer – aus Philosophie, Soziologie, Rechtswissenschaft und anderen Professionen – zu zentralen Fragen des Flüchtlingsmanagements zu Wort. Man geht auf Ängste und Sorgen, die im Zusammenhang mit den Migrationen auftreten, ein und will die Gestaltungskraft beflügeln.

Die Wanderbewegung des Jahres 2015 (60 Millionen Flüchtlinge weltweit) wird als Anfang eingestuft, angesichts der hohen Zahl Wanderungswilliger könnte die Unterscheidung in Kriegs-, Wirtschafts- und Klimaflüchtlinge rein akademisch wirken. Die sogenannte Flüchtlingskrise löste in der Bevölkerung eine Dynamik in 2 Richtungen aus: hier tätige Solidarität, außerordentliche Spenden- und Hilfsbereitschaft, da die Verdoppelung fremdenfeindlicher Anschläge binnen 1 Jahres und erhöhter Zuspruch zu rechtspopulistischen Parteien.

Wolfram Eilenberger ermuntert in der Einleitung dazu, der Komplexität und Dynamik damit zu begegnen, die eigene Perplexität einzugestehen und sich zu erlauben, Fragen zu stellen. Mit dem Dossier wird ein Beitrag geleistet. Folgende Themen sind aufgeworfen:

  1. Unsere Verantwortung
  2. Wer sind wir?
  3. Wie schaffen wir das?

Zu diesen Themen sind jeweils konkrete Fragen gestellt. 1-sicht greift die – subjektiv – wesentlichsten Aspekte aus den Antworten auf und fasst sie in 3 Blogbeiträgen als Erweiterung bisheriger 1-sichten zum Phänomen Migrationen zusammen. Dieser Beitrag widmet sich dem ersten Thema:

Unsere Verantwortung

Im Angesicht des Leids

Ist das Konzept einer ‚globalen Verantwortung‘ notwendig eine Überforderung?

Verantwortung im Sinne einer klaren individuellen Zurechnung von Handlungsfolgen wird zur Überforderung, wenn sie global gemeint ist. Jedoch ist es geboten, sich mit Schicksalen anderer Menschen in fernen Regionen verbunden zu fühlen. Andernfalls wäre eine innere Verhärtung die Folge. Daraus resultierte eine Veränderung des eigenen Wertesystems und in der Folge eine Vereinzelung der Person. Hingegen lässt Verbundenheit zu, sich als Teil eines lebendigen Geschehens zu verstehen. Daraus erwächst Motivation (nicht nur abstrakte Verpflichtung) für ein Handeln, das globale Zusammenhänge mit einschließt.

Hartmut Rosa; Professor für Philosophie an der Universität Jena

Sollen wir uns in unserer Haltung gegenüber den Flüchtlingen eher von rationalen Überlegungen oder von Gefühlen leiten lassen?

Verstand und Gefühl müssen sprechen, um die Welt deuten zu können. Im Falle der nach Europa wollenden Flüchtlinge könnte das heißen, das Gefühl setzt den Impuls zu helfen – zumal wenn die eigene Biografie Fluchterfahrungen enthält, und der Verstand sieht in den Ankommenden neue Freunde oder billige Arbeitskräfte. Jedenfalls sind Grenzen zu beachten: ‚Über das Können hinaus wird niemand verpflichtet.‘ (lat.: Ultra posse nemo obligatur.) Geschieht dies nicht, ist niemandem geholfen. Daher gilt es, die Migrationen rechtsstaatlich zu kontrollieren und zu begrenzen und den Ankommenden Lebens- und Zukunftschancen zu eröffnen.

Volker Gerhardt; Lehrstuhl für praktische Philosophie (emeritiert 2012) an der Berliner Humboldt Universität

Was sind die entscheidenden Faktoren dafür, dass wir Empathie mit Flüchtlingen empfinden?

Man ist zur Empathie fähig, wenn:

  • Die oder der andere ein ähnliches Wesen ist.
  • Deren oder dessen Situation muss anschaulich, ‚nah‘ sein.
  • Es sein könnte, dass man selbst ein dieselbe Situation kommt.

Empathie wird kultiviert durch:

  • gezielten Fokus auf Gemeinsamkeiten
  • Die Vorstellung, allein glücklichen Umständen verdanke man es, selbst in einer besseren Situation zu sein
  • Vergleichbare Erfahrungen nahestehender Menschen
  • Eigene vergleichbare Erfahrungen

Für das eigene Handeln braucht es neben der Empathie eine gefühlsbetonte Vision davon, wie viel besser es dem Mitmenschen gehen könnte.

Hilge Landweer; Professorin für Philosophie an der Freien Universität Berlin

Von der Schuld zur Pflicht

Hat Deutschland im Rahmen der Flüchtlingskrise eine besondere historisch bedingte Verantwortung?

Die Erinnerung an die NS-Zeit weist auch in die Zukunft. Der Ermordung der Juden und anderer ausgegrenzter Bevölkerungsgruppen ging ein kollektives Aussetzen von Mitgefühl voran, das gespeist wurde von der Etikettierung dieser Menschen als fremd, radikal anders und daher als Bedrohung. Viele Deutsche achten daher aktuell auf das Gemeinsame. Und sie stellen sich die Frage, zu was für einer Nation man gehören möchte: ‚zu einer, die verzweifelte Menschen abweist, oder einer, die mit ihnen die gemeinsame Aufgabe einer neuen Zukunft angeht?‘

Aleida Assmann; Professorin für Anglistik und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz

Hat die moralische Verpflichtung, Geflüchtete aufzunehmen, Grenzen oder handelt es sich um eine absolute Pflicht?

Nach streng moralischer Argumentation kann es keine Grenzen geben. Vielmehr müsse man sich bewusst machen, dass in immer mehr Staaten die extreme Gewalt zunimmt (Syrien, Libyen, Irak). Die Zustimmung oder Ablehnung, Menschen aufzunehmen kommt in der Macht über Leben und Tod gleich. Der politische Wille, Geflüchtete zurückzuweisen, kommt der Billigung von Mord gleich. Auch verstößt es gegen die Menschenwürde, das ‚Minimum menschlicher Existenz‘ (Hannah Arendt) nicht zu gewähren. Menschliche Beziehungen seien prinzipiell auf die Pflicht zu Fürsorge, Hilfe und Rücksicht überall und für alle begründte.

Marc Crépon; Direktor des Centre national de la recherche scientifique in Paris

Ist die Flüchtlingskrise eine direkte Folge des globalen Kapitalismus

Ja, denn ein wirtschaftliches Zentrum lebt auf Kosten einer rohstoffliefernden Peripherie. Die conditio sine qua non für das Aufrechterhalten des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist die gewaltsame Aufrechthaltung dieser Ungleichheit. Die Distinguierung in Kriegs-, Wirtschafts-, Klimaflüchtlinge ist irrelevant, weil derzeit alles auf das derzeitige kapitalistische System zurückzuführen ist. Kriegsflüchtlinge sind Opfer einer bellizistischen Wirtschaftspolitik, Wirtschaftsflüchtlinge Opfer einer Durchsetzung geopolitischer Interessen mit ‚nur‘ ökonomischen Mitteln.

Armen Avanessian; Literaturwissenschafter, Philosoph, Gastprofessor an verschiedenen Kunstakademien

Unbedingte Solidarität?

Ist der Schutz der eigenen Bevölkerung vor einem Anschlag ein legitimes Argument, um Flüchtlingsrechte einzuschränken?

Die Frage beinhaltet rechtsstaatlich betrachtet 5 Einzelfragen:

  1. Reicht die statistische Annahme, unter Hunderttausenden Flüchtlingen befinden sich Terrorbereite oder muss sich der Verdacht gegen konkrete Menschen richten?
  2. Darf der Staat allenfalls die Rechte aller Flüchtlinge einschränken oder lediglich der Verdächtigen?
  3. Dürften Einschränkungen sich nur gegen bereits im Inland befindliche Flüchtlinge richten oder könnte eine Begrenzung des Zuzuges erfolgen?
  4. Wie ‚dicht‘ müsste das Risiko sein?
  5. Welche Dimension müsste das schlagend werdende Risiko haben?

Um vernünftige Antworten zu finden, sind 3 Prämissen zu beachten:

  1. Staaten haben das Recht und die Pflicht, die Bevölkerung zu schützen.
  2. Diese Pflicht beinhaltet das Recht, hinreichend verdächtige Personen entsprechenden polizeilichen Maßnahmen der Prävention zu unterwerfen bzw. ihnen den Zutritt ins Land zu verwehren.
  3. Anzunehmen, dass unter Hundertausenden Menschen aus Herkunftsländern des internationalen Terrors kein einziger mit Neigung zu terroristischen Aktionen ist, wäre verantwortungslos.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich folgende Antworten:

Die statistische Annahme eines Anschlages reicht nicht aus, die Rechte aller Flüchtlinge einzuschränken oder Migranten den Zutritt zu verwehren. Dies würde bedeuten, dass die von Einzelnen ausgehende Gefahr, unzähligen anderen zugerechnet wird. Dies gilt selbst dann, wenn das Risiko als statistische Gewissheit bestimmt ist. Der Staat muss allerdings alle Flüchtlinge überprüfen, um seine Pflichten als Garant einer Normenordnung prinzipieller Freiheit zu erfüllen. Bei begründetem konkreten Verdacht darf die Person polizeilichen Maßnahmen unterworfen, gegebenenfalls abgeschoben oder nicht ins Land gelassen werden. Derartige Präventionsmaßnahmen sind angezeigt, wenn ein gravierender terroristischer Akt befürchtet wird, der geeignet ist, die Rolle des Staates als Garant des inneren Friedens zu diskreditieren.

Reinhard Merkel; Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg

Sind Staaten juristisch verplichtet, Flüchtlinge aufzunehmen?

Eine Juristische Pflicht zur Aufnahme besteht nicht, dies würde das Recht der Staaten auf nationale Selbstbestimmung gemäß Artikel 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte verletzen. Staaten haben die Pflicht, jeden Asylantrag angemessen und nachvollziehbar zu bearbeiten und im Falle der Bewilligung von Asyl den Menschen aufzunehmen oder den Transfer in ein sicheres Drittland gewährleisten. In der aktuellen Situation sei auf Kontingente hinzuarbeiten. Jene Staaten, die weniger Flüchtlinge aufzunehmen wünschen, sollten Transferzahlungen leisten.

David Miller; Professor für Social an Political Theory am Nuffield College in Oxford.

Wird der Gesamtnutzen aller Betroffenen dadurch optimiert, dass wir Geflüchtete aufnehmen – oder wäre es hilfreicher, sie vor Ort in den Lagern zu unterstützen?

Genau genommen bevorzugt die Genfer Flüchtlingskonvention jene, die sich die Ausreise ermöglichen können, gegenüber jenen, die sich diese nicht leisten können. Zudem habe die Konvention den Boom des oft skrupellosen und tödlichen Menschenschmuggels begünstigt. Eine praktikable Herangehensweise könnte sein, Flüchtlinge würden in einem dem Herkunftsland benachbarten Staat Asyl beantragen und dort in einem sicheren Camp – dank der Finanzhilfen reicherer Länder – versorgt werden.

Peter Singer; Professor für Bioethik am Center für Human Values der Princeton University.

 

Quellen und links

Philosophie Magazin

Über Chancen und Risiken der aktuellen Migrationen – Beitrag 2 auf 1-sicht

Über Chancen und Risiken der aktuellen Migrationen – Beitrag 3 auf 1-sicht

Über Menschenrechte auf 1-sicht

Europas nationalstaatliche Grenzen. Normalität und Notwendigkeit oder historischer Sonderfall? – Beitrag auf 1-sicht

Krieg in Syrien und kein Ende in Sicht. – Beitrag auf 1-sicht

Syriens Nachbarn und die Flüchtlinge. – Beitrag auf 1-sicht

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Aufnahmelager für Flüchtlinge; Bildquelle Le Monde Diplomatique 8. Oktober 2015
1-sicht findet: Lesen bildet.
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand

Über Herausforderungen und Chancen der aktuellen Migrationen – Beitrag 2

Teil 2 aus 3 zum Diskursbeitrag über Migrationen (Dossier ‚Was tun?‘ des Philosophie Magazins vom Februar 2016). 1-sicht-Beitrag 1 befasste sich mit ‚Unsere Verantwortung‘. Nun ist ‚Wer sind wir?‘ das Thema. Es folgt in Teil 3 ‚Wie schaffen wir das?‘

Wer sind wir?

Was wäre deutsch?

Ist eine klar konturierte, selbstbewusst vertretene Landesidentität ein Vorteil oder ein Nachteil für die Integration von Neuankömmlingen?

Zwei Antworten sind aus der Migrationsforschung bekannt:

  1. Festigkeit der Identität des Aufnahmelandes, die durch Forderungen an Neuankömmlinge gesichert wird. Integration wird dabei oft als Assimilation verstanden.
  2. Identitätsbildung ist Aushandlungsprozess zwischen Aufnahmeland und Neuankömmlingen. Der dialogische Zugang erleichtert Integrations, erschwert hingegen die Identitätsbildung.

Eine Kompromissvariante für Deutschland könnte Integration in Form eines dialogischen Aushandlungsprozesses zwischen starken staatlichen Institutionen und Neuankömmlingen sein.

Gunter Gebauer; emeritierter Professor der Freien Universität Berlin

Auf wen bezieht sich das Wort ‚wir‘ in Merkels Satz ‚Wir schaffen das?‘

‚Wir‘, das sind zunächst die Kanzlerin und ihr Kabinett, in der Folge sind alle Behörden, die Regierung und schließlich das Volk, das ja der Souverän ist, gemeint. Wobei sich nicht alle mitgemeint fühlen wollen oder können. Damit die Herausforderung geschafft werden kann, müssen zum ‚wir‘ auch jene Menschen mitgemeint sein, die als Flüchtlinge ankommen. Es gelte, sie nicht nur zu fragen, was sie im Moment benötigen, sondern auch, was sie küntig zum Gemeinwesen beitragen wollen und können.

Tilman Borsche, emeritierter Professor für Philosophie der Universität Hildesheim

Gibt es einen Kern der deutschen Identität?

Man ersetze das Postulat der Identität durch das Prinzip der Identifizierung. Und man begreife die Bedingungen der Gemeinschaftserfahrung als entwicklungsfähige Erzeugnisse. Produktive Teilhabe setzt Sprachen, setzt kommunikatives Handeln voraus. Jedes Erziehungssystem hat den Kernauftrag, die Ausdrucksmittel zu erhalten, weiterzuentwickeln und gegen die Unterwanderung von utilitaristisch vereinfachten Idiomen zu verteidigen.

Heinz Wismann; Philosophiehistoriker und Altphilologe an der EHESS in Paris

Die Anderen und wir

Stellt die Tatsache, dass 80 Prozent der Flüchtlinge (muslimische) Männer sind, aus feministischer Sicht eine besondere Herausforderung dar?

Die Leidenschaft der Araber lässt französischen Charme blass aussehen und reißt Frauen hin. So war es bei Blazac. Nun wird dieses Klischee in seiner negativen Seite vermittelt: Muslime sperren ihre Frauen unter Schleier weg und vergreifen sich an ‚unseren‘ Frauen. Die Sexualität des Orients: vielversprechend einerseits, bedrohlich andererseits. Dieser Diskurs sei Symptom von Kastrationsangst und Ausdruck eines wenig beflügelten Verhältnisses zwischen den Geschlechtern. Frauen sind respektiert, ihnen den Hof zu machen ist nicht mehr üblich. Es sei, als hätte man vergessen, dass die Geschlechter auf der Welt sind, um sich gegenseitig zu Gefallen zu sein. Sollte man auf den Frauenkult der Araber und Syrer hoffen? Und darauf, dass er altdeutsche Ängste bezwingt?

Barbara Vinken; Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilian-Universität München

Ist das Verhalten der Bundesregierung in der Flüchtlingskrise wie auch im Krieg gegen den IS Ausdruck eines neuen Bewusstseins der außenpolitischen Stärke?

Deutschland reagierte einem kollektiven moralischen Impuls folgend, wie es im internationalen Kontext häufig moralischen Argumenten Vorrang vor politisch-pragmatischen Gründen gibt. Dies mag mit dem – vermittelten – historischen Schuldgefühl zu tun haben. Hätte Deutschland politische Stärke gezeigt, hätte es an den Luftangriffen auf Syrien teilnehmen oder für eine pazifistische Lösung optieren müssen.

Hans Ulrich Gumbrecht,; Albert-Guèrard-Professor für Literatur an der Stanford University (USA)

Welche Faktoren lassen die Angst vor dem Fremden in einen Hass gegen den Fremden umschlagen?

Hass liegt nicht in Angst begründet, sondern in Erfahrungen von Degradierung, Ignorierung oder Sabotage an der eigenen Person; in einem verunsicherten, angegriffenen oder erschütterten Selbstwertgefühl. Der Hass richtet sich in der Regel gegen einen konzeptionellen Anderen, nicht gegen einen konkreten Anderen. Der Selbstwert wird durch gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit gestärkt.

Heinz Bude; Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel

Unverzichtbare Werte

Welche Werte sind zentral für die europäische Lebensform?

Die europäische Lebensform basiert auf

  • experimentell-mathematischer Naturwissenschaft und Technik
  • stoischem Kosmopolitismus und Menschenrechten
  • Gewalten teilendem Rechtsstaat mit Meinungs- und Religionsfreiheit
  • freier Kunst, die keinen religiösen oder politischen Zwecken dient
  • einem Bildungssystem, das nach der Entwicklung autonomer Persönlichkeiten strebt

Dies entspricht den Idealen der Aufklärung.

Diesen zuwider laufen

  • religiöse Überzeugungen, die die Wahrheit über die Welt und die Regeln des Zusammenlebens vermeintlich heiligen Texten entnehmen
  • die Idee, geoffenbarte Wahrheiten könnten durch Grausamkeiten verbreitet werden
  • ein Wirtschaftssystem, das Illusionen von Glück und Freiheit propagiert, um des Profits willen Unwahrheiten kommuniziert und Arbeiter grausam behandelt

Im 20. Jahrhundert haben die Menschen

  1. sich kollektiven Illusionen in den großen Ideologien hingegeben und zu deren Verteidigung unglaubliche Grausamkeiten begangen
  2. Unwahrheiten verbreitet und neue Grausamkeiten begangen, um militärische und wirtschaftliche Macht zu erhalten

Seit Sokrates (400 vor unserer Zeitrechnung) existiert die Idee eines aufgeklärten Lebens freier, friedlicher, wahrheitsliebender Menschen. Es sei Zeit, sie zu realisieren.

Michael Hampe; Professor für Philosophie an der ETH Zürich

Brauchen wir für einen erfolgreichen Integrationsprozess eine deutsche Leitkultur?

Zwei Positionen stehen einander gegenüber:
a) Assimilation als Bedingung von Integration
b) Vielfalt der Kulturen als Bereicherung

Der philosophische und politische Liberalismus fordern eine Entkoppelung von Politik und Kultur in Form einer autonomen politischen Sphäre, die allen unabhängig von Herkunft, Religion, kultureller Prägung zugänglich ist. Demokratie als Staats- und Lebensform beruht auf

  • Verfassungsnormen
  • rechtsstaatlicher Praxis
  • verbunden mit demokratischer Kontrolle
  • und einer rechtlichen, politischen, kulturellen Praxis der Nichtdiskriminierung .

Es bedarf einer alltäglichen praktizierten Leitkultur der Humanität, des wechselseitigen Respekts, der Akzeptanz von weltanschaulichen und kulturellen Unterschieden. Angesichts von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Antiislamismus sowie der Radikalisierung in vielen Ländern Europas und in den USA sei es möglicherweise die größte Integrationsleistung, den Antihumanismus eines wachsenden Teils der einheimischen Bevölkerung einzudämmen.

Julian Nida-Rümelin; Professor für politische Theorie und Philosophie an der Ludwig-Maximilian-Universität München

Sollte Gotteslästerung erlaubt sein, auch wenn sie Gläubige verletzt?

In einer Demokratie müsse das Recht zur Kritik über dem Recht, sich nicht beleidigt zu fühlen, stehen, andernfalls würde die Freiheit der Kritik ausgehöhlt. Der demokratische Staat muss einen laizistischen Charakter haben. Dass Gotteslästerung als Straftat gilt, dass es Steuersubventionen für Religionsgemeinschaften gibt und dass religiöse Symbole an öffentlichen Orten benutzt werden dürfen, steht im Konflikt dazu.

Paolo Flores d’Arcais; Professor für Philosophie an der Universität La Sapienza in Rom

 

Quellen und links

Philosophie Magazin

Über Chancen und Risiken der aktuellen Migrationen – Beitrag 1 auf 1-sicht

Über Chancen und Risiken der aktuellen Migrationen – Beitrag 3 auf 1-sicht

Über Menschenrechte auf 1-sicht

Unsere Werte – Artikel 2 des EU-Bertrages. – Beitrag auf 1-sicht

1-sicht findet: Lesen bildet.
1-sicht meint: Lesen nährt den Verstand